Ausgangslage
Unaufmerksamkeit und Ablenkung gehören zu den häufigsten Unfallursachen im Strassenverkehr. Ablenkung wird durch äussere Reize (z. B. Handy, Musik, andere Personen) ausgelöst, die zu einer Verlagerung der Aufmerksamkeit führen. Beim Autofahren bewirkt dies beispielsweise, dass die Aufmerksamkeit von der Fahraufgabe auf die auslösenden Reize gelenkt wird. Unaufmerksamkeit (im engeren Sinne) umfasst dagegen die innere bzw. selbst erzeugte Ablenkung, z. B. durch abschweifende Gedanken oder Tagträume.
Ablenkung und Unaufmerksamkeit betreffen nicht nur Personenwagen (PW); Ablenkung ist auch für Motorrad- und Velofahrende, E-Bike-Fahrende sowie für Fussgängerinnen und Fussgänger ein Thema.
Verbreitung
Angaben zur Verbreitung von Ablenkung und Unaufmerksamkeit liegen nur für einzelne Arten der Ablenkung vor. Es existieren keine Daten darüber, wie häufig Verkehrsteilnehmende im Strassenverkehr in Gedanken versunken oder unaufmerksam sind. Dies ist generell schwierig abzuschätzen, da es weder beobachtbar noch zuverlässig erfragbar ist.
Gemäss drei Beobachtungsstudien der BFU ist in der Schweiz
- beinahe jede zweite Fussgängerin oder jeder zweite Fussgänger beim Queren einer Strasse
- jede dritte Person am Steuer von Personenwagen und Lieferwagen sowie
- ein Fünftel der Velo- und E-Bike-Fahrenden
während der Fahrt abgelenkt [1–3]. Die Ablenkung bei jeder dieser drei Gruppen erfolgt hauptsächlich durch die Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmenden oder Fahrzeuginsassinnen und Fahrzeuginsassen (zwischen 8 % bis 28 %).
Bei Fahrzeuglenkenden spielt das Telefonieren mit oder ohne Freisprechanlage sowie die manuelle Bedienung des Handys (z. B. tippen, Display betrachten) eine wichtige Rolle (5 %). Dies zeigt sich auch in der Bevölkerungsbefragung 2023: Dort gaben 23 % der Befragten an, zumindest selten während der Fahrt mit dem Handy in der Hand zu telefonieren. Mit der Freisprechanlage telefonieren 73 % der Befragten zumindest ab und zu, 24 % tun dies nie [4]. 8 % der Velo- und E-Bike-Fahrenden sowie 10 % der Fussgängerinnen und Fussgänger sind zum Beispiel abgelenkt, weil sie Kopfhörer tragen und Musik hören.
Gefährlichkeit
Unaufmerksamkeit und Ablenkung können dazu führen, dass die nötigen visuellen, auditiven, kognitiven und motorischen Ressourcen für die sichere Verkehrsteilnahme nicht in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Dies kann die Verkehrssicherheit beeinträchtigen [1]. Die Forschung hat sich bisher vor allem mit der Ablenkung befasst. Dies liegt daran, dass Unaufmerksamkeit nicht zuverlässig erfasst werden kann.
Das Risiko für einen Verkehrsunfall erhöht sich vor allem dann, wenn Geräte (z. B. das Handy) ergriffen, weggelegt oder bedient oder Texte gelesen resp. geschrieben werden. Diese Tätigkeiten erhöhen das Unfallrisiko um bis das 8-Fache [1,4] (vgl. auch ).
Bei Velo- und E-Bike-Fahrten scheinen insbesondere jene Tätigkeiten riskant zu sein, bei denen der Blick von der Strasse abgewendet wird und die zusätzlich motorische Ressourcen beanspruchen (visuell-manuelle Ablenkung, z. B. Schreiben einer Nachricht auf dem Handy) [4]. Mehr zum Thema gibt es hier ((LINK Velo Risikofaktor U&A Zielgruppe)) und hier ().
Zur Häufigkeit und Gefährlichkeit von Unaufmerksamkeit und Ablenkung bei Motorradfahrenden liegen keine Studien vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die negativen Auswirkungen ablenkender Tätigkeiten (auf visuelle, auditive, kognitive und motorische Ressourcen), die das Unfallrisiko von E-Bike- und Velofahrenden erhöhen, auch für Motorradfahrende gelten.
Bei Fussgängerinnen und Fussgängern scheint v. a. die Ablenkung durch die Nutzung von Mobiltelefonen beim Überqueren der Strasse mit leicht erhöhten Kollisionsraten und mehr Beinahe-Kollisionen verbunden zu sein [12] (mehr dazu hier ((LINK Risikofaktor U&A Fussverkehr Zielgruppe))). Es ist anzunehmen, dass Kinder und Jugendliche ((Link Kinder Risikofaktor U&A)) einem grösseren Risiko ausgesetzt sind, wenn sie durch die zunehmende Nutzung von Mobiltelefonen abgelenkt sind und gleichzeitig weniger Erfahrung im Strassenverkehr haben [11].
Unfallrelevanz
Unaufmerksamkeit und Ablenkung ist die Hauptunfallursache, die für die meisten schweren Personenschäden verantwortlich ist. Insgesamt wird Unaufmerksamkeit und Ablenkung bei 30 % der schweren Unfälle als Haupt- oder Mitursache registriert.
Im Jahr 2022 führten Unaufmerksamkeit und Ablenkung zu insgesamt 1320 schweren Personenschäden – das sind 7 % mehr als im Jahr 2012. Insgesamt lag der Anteil von Unfällen aufgrund von Unaufmerksamkeit und Ablenkung (Haupt- und Mitursache) an allen schweren Personenschäden 2012 bei 27 %, 2022 bei 31 %, was einer leichten Zunahme von 4 % entspricht.
Eine Zunahme des Anteils der Unfälle durch Unaufmerksamkeit und Ablenkung gab es bei den Motorrädern (+40 %) und bei den Fussgängerinnen und Fussgängern (+24 %). Bei den anderen Mobilitätsformen ist nur eine leichte Zunahme zu verzeichnen (PW: +3 %, E-Bike: +3 %, Velo: +2 %).
Mehr als ein Drittel der schweren Personenschäden infolge Unaufmerksamkeit und Ablenkung betrifft Motorradfahrende, fast ein Fünftel Personen in Autos. Fussgängerinnen und Fussgänger machen einen Anteil von 13 % aus, weisen aber bei diesen Unfällen eine deutlich höhere Letalität auf als die übrigen Verkehrsteilnehmenden. Am tiefsten ist die Letalität bei Unfällen mit dem PW.
Die Lenkenden von Personenwagen verursachen etwas mehr als ein Drittel der Unfälle infolge Unaufmerksamkeit und Ablenkung selbst. Bei den schweren Personenschäden beträgt der Anteil der Personen in PWs 19 %. Umgekehrt verhält es sich bei den Fussgängerinnen und Fussgängern sowie den Velo- und Motorradfahrenden: Im Vergleich zu den schweren Personenschäden ist ihr Anteil an den Hauptverursachenden geringer.

Verteilung der Hauptverursacher/-innen und der schweren Personenschäden bei schweren Unfällen mit Hauptursache Unaufmerksamkeit und Ablenkung nach Verkehrsteilnahme, DS 2018-2022

Schwere Personenschäden (DS 2018-2022) und Letalität (DS 2012-2022) bei Unaufmerksamkeits- und Ablenkungsunfällen, nach Verkehrsteilnahme
Bei Unfällen auf der Autobahn ist der Anteil von schweren Unfällen aufgrund von Unaufmerksamkeit und Ablenkung (Haupt- und Mitursache) deutlich höher (42 %), an Wochenenden nachts deutlich tiefer (24 %). Knapp 60 % der schweren Unfälle wegen Unaufmerksamkeit und Ablenkung geschehen innerorts, etwas mehr als ein Drittel ausserorts. Innerorts und auf der Autobahn passieren diese Unfälle meistens auf geraden Strecken, ausserorts am häufigsten in Kurven.
Der Anteil der unaufmerksamen oder abgelenkten Verkehrsteilnehmenden, die in einen schweren Unfall verwickelt sind, ist im Vergleich bei den bis 24-Jährigen und bei den Motorradfahrenden deutlich höher, bei den Fussgängerinnen und Fussgängern deutlich tiefer [5].
Quellen
[1] Niemann S, Hertach P. Erhebungen 2023: Ablenkung im Strassenverkehr: Autolenkerinnen und Auto-lenker. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.517.01.2023.
[2] Niemann S, Hertach P. Erhebungen 2023: Ablenkung im Strassenverkehr: Velo- und E-Bike-Fahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.518.01.2023.
[3] Niemann S, Hertach P. Erhebungen 2023: Ablenkung im Strassenverkehr: Fussgängerinnen und Fussgänger. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.516.01.2023.
[4] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2023: Jährlich wiederkeh-rende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle [Un-veröffentlichter Bericht]. Bern: BFU; 2023.
[5] Hertach P, Achermann Stürmer Y, Allenbach R et al. Sinus 2023: Sicherheitsniveau und Unfallge-schehen im Strassenverkehr 2022. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.501.01.2023.