Ausgangslage
Die Strassenverkehrsinfrastruktur hat einen grossen Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Sie wird jedoch dann zum Risikofaktor, wenn sie nicht normkonform ist und nach dem aktuellen Stand der Forschung und Technik geplant, projektiert und umgesetzt wird. Auch der Unterhalt und die Instandhaltung der Strasseninfrastrukturelemente spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die häufigsten Gefahrenstellen und Defizite der Strasseninfrastruktur lassen sich in drei Kategorien gliedern [1]:
- Fehlerhafte Systemkomponenten, z. B. zu schmaler Velostreifen oder nicht verankerte Leitplanke
- Falsche Systemkomponenten, z. B. Fussgängerstreifen anstatt einer Mittelinsel als Querungshilfe oder Kreuzung mit Rechtsvortritt anstatt Vortrittsregelung
- Fehlende Infrastrukturelemente, z. B. fehlendes Gefahrensignal, fehlende Leitplanke oder fehlende Fussgängerschutzinsel
In einem Forschungsprojekt des Bundesamts für Strassen (ASTRA) wurden die Defizite in drei Kantonen durch eine systematische Analyse verschiedener Datenquellen und methodischer Ansätze identifiziert [2]. Die Ergebnisse zeigen, dass bestimmte infrastrukturelle Eigenschaften zur Entstehung von Unfällen beitragen. Im Folgenden werden die wichtigsten Infrastruktur-Sicherheitsdefizite aus dieser und weiteren Fachdokumentationen genannt [2–5]:
Auf Autobahnen und Autostrassen
- Projektierungsgrössen entsprechen nicht (mehr) dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen
- Ungünstige Lage von Baustellen und deren unzureichende Absicherung, z. B. in Tunneln oder bei Ausfahrten und Bereichen mit hoher Anschlussdichte
- Nicht fehlerverzeihende Gestaltung des Strassenraums ausserhalb der Fahrbahnen
Auf Ausserortsstrassen
- Keine homogene Linienführung, z. B. enge Kurven nach längeren Geraden
- Ungenügende Sichtweiten vor und in Kurven sowie an Knoten und Kuppen
- Unzureichende Schutzmassnahmen bei gefährlichen Strecken wie beispielsweise Passstrassen (z. B. keine Leitplanken mit Unterfahrschutz, keine Markierungen für Motorradfahrende)
Auf Innerortsstrassen
Einmündungen und Kreuzungen
- Hohe Verkehrsbelastung und Mischverkehr
- Kreuzende Linienführung unterschiedlicher Verkehrsteilnehmergruppen (z. B. Tram und andere Verkehrsteilnehmende)
- Sichtweiten gemäss Normen werden nicht eingehalten
- Unzureichende Markierung, Signalisation oder fehlende Infrastrukturelemente (z. B. Lichtsignalanlagen, Verkehrsteiler etc.)
Kreisverkehr
- Unpassender Ablenkungswinkel («Durchschuss»), begünstigt durch zu breite Kreisfahrbahnen oder zu kleine Mittelinseln
- Fehlende oder ungeeignete Verkehrsführung für den Fuss- und Veloverkehr
Fussgängerstreifen
- Ungenügende Berücksichtigung der normativ geregelten Sicherheitsaspekte.
- Psychologische Aspekte bei der Strassenraumgestaltung, beispielsweise menschliche Überforderung in komplexen Verkehrssituationen und -bereichen, werden in einem separaten Text betrachtet.
Verbreitung
Es existiert keine umfassende Übersicht darüber, welcher Anteil der Infrastruktur auf Schweizer Strassen Gefahrenstellen und Defizite aufweist. Um dennoch Aussagen über die Verbreitung von infrastrukturellen Defiziten treffen zu können, kann auf die Resultate aus der Anwendung spezifischer Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente (ISSI) zurückgegriffen werden.
Im Kanton Zürich beispielsweise werden die Ergebnisse aus der Road Safety Inspection (RSI, SN 641 723) systematisch dokumentiert und analysiert. Die häufigsten Sicherheitsdefizite der Strassen im Kanton Zürich bestehen in unzureichender Knotensichtweite (27 %), Aspekten der visuellen Linienführung (25 %), fehlerhafter Knotengeometrie (7 %), der Art und Geometrie der Velolängsführung (7 %) sowie in der mangelhaften Gestaltung von Fussgängerstreifen (5 %) [6].
Gefährlichkeit
Infrastrukturelle Defizite können nicht nur das Unfallrisiko, sondern auch die Unfallschwere beeinflussen. Einflussfaktoren finden sich für jede Ortslage oder Unfallstelle, in lokalen Aspekten wie Wetterbedingungen oder Verkehrsdichte, aber auch in unterschiedlichen Normen oder Rechtsgrundlagen und darin enthaltenen Sicherheitsmassnahmen (z. B. bauliche Gestaltung, Tempolimits etc.).
Es gibt allerdings keine aktuellen Studien, die eine quantitative und verlässliche Aussage über die Gefährlichkeit einzelner Defizite in der Strassenverkehrsinfrastruktur erlauben.
Unfallrelevanz
Aus der Unfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, welche Unfälle auf infrastrukturelle Defizite zurückzuführen sind. Dennoch ist davon auszugehen, dass diese Defizite aufgrund ihrer weiten Verbreitung und der damit verbundenen Gefährlichkeit eine bedeutende Rolle im Unfallgeschehen spielen.
Um zumindest Hinweise auf mögliche infrastrukturelle Defizite und deren Auswirkungen auf das Unfallgeschehen zu finden, wurden in [1] Analysen der häufigsten Unfalltypen, der zentralen Unfallstellen sowie der von der Polizei am häufigsten registrierten Hauptursachen durchgeführt. Diese Herangehensweise ermöglicht es zwar, die infrastrukturellen Situationen mit dem grössten Handlungsbedarf zu identifizieren; es bleibt jedoch offen, ob wirklich die Infrastruktur die entscheidende Unfallursache war.
- Etwa ein Fünftel aller Innerortsunfälle sind Fussgängerunfälle. Dabei stellt insbesondere die fehlerhafte Gestaltung von Fussgängerquerführungen ein erhebliches Risiko dar.
- Bei Velounfällen auf knotenfreien Strecken bergen insbesondere die Art und Geometrie der Velolängsführung sowie die visuelle Linienführung erhebliche Risiken.
- Fehler beim Einbiegen oder Überqueren der Fahrbahn (ohne Fussgängerbeteiligung) machen 13 % der schweren oder tödlichen Unfälle aus, besonders häufig mit Beteiligung von Motorrädern/Mofas (37 %) und Velos/E-Bikes (34 %).
- Selbst- und Schleuderunfälle ohne Kollision machen 19 % der schweren und tödlichen Unfälle aus, besonders häufig bei Velos, E-Bikes, Motorrädern und Mofas.
- Selbst- und Schleuderunfälle mit Kollision mit einem festen Hindernis sind für 25 % aller schwer verletzten und getöteten Verkehrsteilnehmenden verantwortlich, besonders häufig auf kurvigen Ausserortsstrassen.
Hinweise
Die Analyse der Hauptursachen in der schweizerischen Verkehrsunfallstatistik liefert nur begrenzte Hinweise auf infrastrukturelle Defizite, da häufige Hauptursachen – wie beispielsweise Alkohol – keinen direkten Zusammenhang mit der Infrastruktur aufweisen. Zudem erschwert die hohe Dunkelziffer, besonders bei Alleinunfällen und leichten Verletzungen, verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Walter E, Achermann Stürmer Y, Ewert U et al. Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. Sicherheitsdossier Nr. 13.
[2] Schüller H, Fehren-Schmitz K, Rühle A et al. Massnahmen und Potenziale im Bereich Infrastruktur: Forschungspaket VeSPA, Teilprojeikt 2-M. 2016.
[3] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. Fussgängerstreifen. Bern: BFU; 2016. Fachdokumentation Verkehrstechnik MS.013-2016.
[4] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. Kreisel – Grundsätze. Bern: BFU; 2018. Fachdokumentation Verkehrstechnik BM.025-2018.
[5] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. Sicht an Verzweigungen und Grundstückszufahrten. Bern: BFU; 2022. Fachdokumentation Verkehrstechnik BM.021-2022.
[6] Ringel L. Road Safety Inspection Jahresbericht 2023. Zürich: Baudirektion, Tiefbauamt; 2023.