Ausgangslage
Regelmissachtungen bzw. Regelverstösse im Strassenverkehr sind vielfältig. Die Verhaltensweisen «nicht angepasste Geschwindigkeit», «Fahren unter Einfluss von Alkohol oder Drogen», «Ablenkung» und «Vortrittsmissachtung» führen zu einer Vielzahl schwerer Unfälle und werden daher in diesem Portal auf eigenen Themenseiten behandelt ((einzelne Seiten jeweils verlinken)). Es gibt aber noch viele weitere Verstösse, z. B. Rotlichtmissachtungen, zu geringer Sicherheitsabstand oder Fahren auf dem Trottoir. Im Folgenden wird nur auf diese zweite Gruppe von Regelmissachtungen eingegangen .
Je nach Altersgruppe oder Verkehrsmittel werden die Verkehrsregeln aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlicher Häufigkeit missachtet. Velofahrende sowie Fussgängerinnen und Fussgänger beispielsweise missachten Regeln häufig aus Bequemlichkeit oder um Zeit zu sparen, manchmal aber auch, weil sie sich durch den motorisierten Verkehr gefährdet fühlen oder weil sie die Infrastruktur als unangenehm oder ungeeignet empfinden. Häufig hat regelwidriges Verhalten keine negativen Konsequenzen und wird daher verstärkt gezeigt [1].
Verbreitung
In der Schweiz liegen mit Ausnahme von nicht angepasster Geschwindigkeit, Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, Ablenkung und Vortrittsmissachtung nur wenige aktuelle Daten zur Häufigkeit von Regelmissachtungen vor.
In der jährlichen, repräsentativen Bevölkerungsbefragung der BFU wurde unter anderem nach der Häufigkeit bestimmter risikobehafteter Verhaltensweisen gefragt, differenziert nach Alter und Mobilitätsform. Im Folgenden werden die Verhaltensweisen in Zusammenhang mit den thematisierten Regelverstössen von Jugendlichen im Vergleich zu älteren Altersgruppen dargestellt [2,3].
Im Jahr 2022 gaben 24 % der 15- bis 17-Jährigen an, oft die Strasse zu überqueren, ohne den Fussgängerstreifen in unmittelbarer Nähe zu benützen. Bei den 18- bis 24-Jährigen waren es 11 %, bei den 25- bis 64-Jährigen 9 %, bei den 65-Jährigen und älteren 5 % und bei der Gesamtbevölkerung 9 %. 6 % der Fussgängerinnen und Fussgänger gaben an, oft die Strasse bei Rot zu überqueren, 7 % der 15- bis 17-Jährigen [3].
Bei den Velo- und E-Bike-Fahrenden gaben im Jahr 2023 36 % der befragten Jugendlichen an, zumindest ab und zu verbotenerweise bei Rot rechts abzubiegen. Bei den 65-Jährigen und älteren waren es 23 %. Noch deutlicher war der Unterschied beim Fahren ohne Licht bei Dunkelheit: 40 % der Jugendlichen gaben an, dies zumindest manchmal zu tun, gegenüber 6 % der Personen ab 65 Jahren [2].
Aus den vorliegenden Daten lässt sich ableiten, dass jüngere Personen eher zu gefährlichem Verhalten bzw. Regelverstössen neigen. Diese Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Befragten. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass einige Befragte die Häufigkeit ihres Problemverhaltens etwas untertrieben haben (sog. sozial erwünschtes Antwortverhalten). Da die Befragung online durchgeführt wurde, dürfte dieser Effekt jedoch nicht sehr gross sein.
Gefährlichkeit
Regelmissachtungen stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. In einer sogenannten «Naturalistic Driving Study» (NDS, siehe Hinweis 1) aus den USA wurde das Unfallrisiko für verschiedene Regelverstösse im Vergleich zu einer vorbildlichen Fahrweise abgeschätzt [4].
Beispielsweise wurde für das weit verbreitete Verhalten «Keine Zeichengabe» eine Gefährlichkeit mit einer Odds Ratio (s. Hinweis 2) von 2,5 ermittelt. Das bedeutet, dass das Unfallrisiko bei Nichtbeachtung dieser Regel im Vergleich zu vorbildlichem Fahrverhalten um den Faktor 2,5 erhöht ist. Für folgende Regelverstösse wurden besonders hohe Unfallrisiken (Odds Ratio, Erwartungswert inkl. 95%-Konfidenzintervall in Klammern) ermittelt:
- Plötzliches oder unangemessenes Bremsen, Abbremsen: 247,8 (53,1–1156,2)
- Unvorsichtiges Wenden des Fahrzeugs: 92,1 (68,8–123,4)
- Missachten eines Signals: 28,3 (15,9–50,2)
- Fahren in verbotener Richtung: 22,3 (12,0–41,5)
Diese Studienergebnisse zeigen, dass die Gefährlichkeit von Regelmissachtungen sehr hoch ist.
Unfallrelevanz
Im Zeitraum 2019–2023 waren Regelmissachtungen bei 20 % der schweren Unfälle der 15- bis 17-Jährigen die Hauptursache. Dieser Anteil liegt unter dem entsprechenden Anteil für alle Altersgruppen (23 %).
Bei den 15- bis 17-Jährigen gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Regelmissachtungen. Der Anteil der Regelverstösse als Hauptursache bei schweren Unfällen variiert bei den 15- bis 17-Jährigen jedoch stark hinsichtlich des benützten Verkehrsmittels.
Bei schweren Unfällen mit Mofas, E-Bikes, Velos und zu Fuss sind Regelverstösse häufiger die Ursache. So sind bei 27 % der schweren Unfälle von 15- bis 17-Jährigen mit einem Mofa auf einen Regelverstoss zurückzuführen. Bei allen schwer verunfallten Mofafahrenden beträgt dieser Anteil 25 %. Bei den schwer verletzten oder getöteten Fussgängerinnen und Fussgängern lag der entsprechende Anteil sowohl bei den Jugendlichen als auch insgesamt bei 33 %.
Hinweise
- Zur Ermittlung der Verbreitung von Regelverstössen werden idealerweise Beobachtungsstudien oder «Naturalistic Driving Studies» (NDS) herangezogen. Diese Studien gelten als objektiv und sind daher am aussagekräftigsten. In NDS wird u. a. das Fahrverhalten über einen gewissen Zeitraum mit verschiedenen On-Board-Kameras aufgezeichnet. So kann abgeschätzt werden, wie häufig verschiedene Verhaltensweisen unter «normalen» Bedingungen (ohne Unfall) auftreten (in % der Fahrzeit). Die Verhaltensweisen werden sehr detailliert erfasst.
- Die Odds Ratio (OR) gibt an, um wie viel sich die Chance (Englisch: odds) für das Eintreten eines Ereignisses durch einen Einflussfaktor verändert. Zur Berechnung werden in einem ersten Schritt die Odds für ein Ereignis bei Vorhandensein des Einflussfaktors und die Odds für ein Ereignis bei Nichtvorhandensein des Einflussfaktors berechnet. «Odds» sind definiert als das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, zu der Wahrscheinlichkeit, dass es nicht eintritt. Diese beiden Odds werden dann zueinander ins Verhältnis gesetzt (Odds Ratio). Wie das Relative Risiko kann auch die Odds Ratio einen Wert zwischen 0 und unendlich annehmen. Auch hier weist eine OR > 1 auf einen positiven Zusammenhang hin [5].
Quellen
[1] Uhr A. Regelmissachtungen im Veloverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2021. Forschung 2.396. DOI:10.13100/BFU.2.396.01.2021.
[2] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2023: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle. Bern: BFU; 2023.
[3] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2022: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle. Bern: BFU; 2022.
[4] Dingus TA, Guo F, Lee S et al. Driver crash risk factors and prevalence evaluation using naturalistic driving data. Proc Natl Acad Sci U S A. 2016; 113(10): 2636–2641. DOI:10.1073/pnas.1513271113.
[5] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.