Müdigkeit als Risikofaktor bei Verkehrsunfällen

Müdigkeit ist ein wichtiger, aber schwer zu erkennender Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Schätzungen zufolge ist bei 10 % aller schweren Verkehrsunfälle Müdigkeit am Steuer eine (Mit-)Ursache.

Ausgangslage

Müdigkeit am Steuer ist ein wichtiger Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Die Schätzungen, in welchem Ausmass Müdigkeit zu Verkehrsunfällen beiträgt, variieren jedoch beträchtlich (siehe [1]). Dies liegt vor allem daran, dass Müdigkeit als Unfallursache schwierig zu erkennen ist. Im Gegensatz zu anderen Risikofaktoren wie z. B. Alkohol kann das gesamte Problemausmass nicht objektiv festgestellt, sondern höchstens indirekt abgeschätzt werden.
Beim Risikofaktor Müdigkeit geht es nicht nur um den sogenannten «Sekundenschlaf». Es geht um alle müdigkeitsbedingten Leistungseinbussen, die sich bereits lange vor dem eigentlichen Einschlafen bemerkbar machen – z. B. eine langsamere Reaktion.
Müdigkeit ist ein Signal des Körpers, dass die aktuelle körperliche oder geistige Aktivität oder auch bloss das «Wachsein» beendet werden sollte. Viele Lenkerinnen und Lenker setzen ihre Fahrt jedoch trotz wahrgenommener Müdigkeitssymptome wie Gähnen, Unkonzentriertheit, Fahrfehler oder schweren Augenlidern fort. 
Die wichtigsten Ursachen von Müdigkeit am Steuer sind:

  • Schlafmangel
  • Fahrten zu Zeiten mit hohem Schlafbedürfnis (bei Nacht und am Nachmittag)
  • Lange und/oder monotone Fahrten
  • Sedierende Medikamente
  • Alkohol und Drogen
  • Medizinische Störungen wie Ein- und Durchschlafstörungen oder die obstruktive Schlafapnoe

Die Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf Müdigkeit am Steuer bei Personenwagen und Lastwagen. Zwar gibt es auch Studien, die sich mit Motorradfahrenden und jungen Velofahrenden befasst haben. Auch diese fanden Hinweise, dass Schläfrigkeit und mentale Ermüdung sicherheitsrelevante Fähigkeiten beeinträchtigen können (z. B. psychomotorische Fähigkeiten, Reaktionszeit, Gefahrenwahrnehmung) [2,3]. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Müdigkeit bei Zweiradfahrenden weniger kritisch ist als bei Autofahrenden, weil die Umgebung anregender ist und sie wegen ihres erhöhten Unfall- und Verletzungsrisikos aufmerksamer sind [2].

Verbreitung

Befragungen zeigen, dass Müdigkeit am Steuer ein häufiges Phänomen ist. Viele Befragte berichten gar, schon am Steuer eingenickt zu sein. Auf Basis verschiedener Studien und Erkenntnisse zur Prävalenz von Schlafdefiziten und Schlafstörungen lässt sich schätzen, dass ca. 4–5 % der Fahrten von Motorfahrzeuglenkenden im übermüdeten Zustand stattfinden (siehe [1]).

Junge Erwachsene (insbesondere junge Männer), Berufschauffeure, Schichtarbeitende und Personen mit medizinischen (Schlaf-)Störungen haben ein erhöhtes Risiko für müdigkeitsbedingte Unfälle.

Gefährlichkeit

Müdigkeit geht mit einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit einher. Übermüdete Personen haben beispielsweise Schwierigkeiten, die Spur zu halten, nehmen Gefahren verzögert wahr und reagieren verspätet auf unerwartete Ereignisse. Im Extremfall führt Müdigkeit zu Sekundenschlaf am Steuer.

Aufgrund der Beeinträchtigungen weisen übermüdete Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Unfallrisiko auf. Eine genaue Spezifizierung dieses Risikos ist kaum möglich. Grob geschätzt dürfte das relative Risiko aber im Bereich von 1,5 bis 4 liegen (siehe [1]).

Müdigkeitsbedingte Unfälle sind oft schwerwiegend, wenn der Lenker oder die Lenkerin eingeschlafen ist. Grund dafür dürfte sein, dass sie sich bei höherer Geschwindigkeit ereignen bzw. dass vor dem Aufprall nicht oder zu spät gebremst wurde [4].

Unfallrelevanz

In der Statistik der polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle [5]wird Müdigkeit (inkl. Sekundenschlaf) bei knapp 2 % aller schweren Personenschäden als Hauptursache registriert (Ø 2018–2022).

Bei schweren Unfällen, die von Motorfahrzeuglenkenden verursacht wurden, steigt dieser Anteil auf knapp 3 %. Auch als Mitursache spielt Müdigkeit am Steuer nur bei 3 % der schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine Rolle.

Bei den meisten dieser Motorfahrzeuglenkenden handelt es sich um Lenkende von Personenwagen. Müdigkeit hat vor allem in den frühen Morgenstunden einen hohen Anteil am Unfallgeschehen. Absolut gesehen ereignen sich aber die meisten Müdigkeitsunfälle bei Tageslicht.

Da es für die Polizei schwierig ist, Übermüdung am Unfallort zuverlässig festzustellen und die Betroffenen ihre Schläfrigkeit oft verschweigen, wird das Ausmass des Problems in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik unterschätzt.

Spezifische Studien zeigen, dass Müdigkeit ein viel substantiellerer Einflussfaktor ist. Unter Ausschluss konfundierender Faktoren wie Dunkelheit, Alkohol und überhöhter Geschwindigkeit kann geschätzt werden, dass Müdigkeit bei rund 10 % aller schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine
(Mit-)Ursache ist (siehe [1]).

Hinweise

Sofern nicht anders angegeben, basieren die Informationen in diesem Text auf Quelle [1]. Dort finden sich auch die Originalquellen der Aussagen.

Quellen

[1] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.

[2] Bougard C, Davenne D, Espie S et al. Sleepiness, attention and risk of accidents in powered two-wheelers. Sleep Medicine Reviews. 2016; 25: 40–51. DOI:10.1016/j.smrv.2015.01.006.

[3] Zeuwts LH, Iliano E, Smith M et al. Mental fatigue delays visual search behaviour in young cyclists when negotiating complex traffic situations: A study in virtual reality. Accident Analysis & Prevention. 2021; 161: 106387. DOI:10.1016/j.aap.2021.106387.

[4] European Commission. Road safety thematic report – Fatigue. Brüssel: European Road Safety Observatory; 2021.

[5] Bundesamt für Strassen ASTRA. Polizeilich registrierte Strassenverkehrsunfälle [Unveröffentlichte Datenbank]: ASTRA; 2022.

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