Motorradunfälle: Geschwindigkeit der Kollisionsgegner

Die Geschwindigkeit ist ein zentraler Risikofaktor bei schweren Motorradunfällen. Dabei spielt die Geschwindigkeit der Motorradlenkenden selbst aber eine grössere Rolle als jene der Kollisionsgegner.

Ausgangslage

Die Sicherheit der Motorradlenkenden hängt nicht nur von ihnen selbst, sondern auch von den anderen Verkehrsteilnehmenden ab. Die Geschwindigkeit der Kollisionsgegner hat einen Einfluss auf die Schwere der Verletzungen, die Motorradlenkende bei einem Unfall erleiden.

Bei Kollisionen von Motorradlenkenden mit anderen motorisierten Verkehrsteilnehmenden steigt das Verletzungsrisiko mit höheren Geschwindigkeiten deutlich an.

Motorradlenkende sind besonders gefährdet, da sie keine Knautschzone haben. Die Energie, die ein Objekt (z. B. ein Auto) durch seine Geschwindigkeit erhält, wirkt somit direkt auf den Körper. Schon eine geringe Geschwindigkeitserhöhung um wenige Stundenkilometer kann daher statt zu einer harmlosen Verletzung zum Tod des Motorradlenkenden führen.

Von Kollisionsgegnern werden geringe Geschwindigkeitsunterschiede jedoch oft als unbedeutend empfunden. Nicht angepasste Geschwindigkeit bzw. die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sind wohl auch deshalb keine Seltenheit ((Link auf Seite PW – Risikofaktor Geschwindigkeit)).  

Verbreitung

Schwere Motorradunfälle infolge nicht angepasster oder überhöhter Geschwindigkeit als Hauptunfallursache bei den Kollisionsgegnern werden am häufigsten durch Lenkende von Personenwagen (PW) verursacht. Motorradlenkende sind deutlich seltener und Mofa-, E-Bike-, Velo- oder E-Trottinett-Fahrende waren in den letzten fünf Jahren noch nie als Kollisionsgegner involviert (siehe Unfallrelevanz). Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb auf PW-Lenkende.

Geschwindigkeitsüberschreitungen bei PW-Lenkenden sind keine Seltenheit. Im Jahr 2019 führte die BFU an verschiedenen Ortslagen Geschwindigkeitsmessungen durch ​[1]​. Die Übertretungsrate der PW-Lenkerinnen und -Lenker betrug 53 % in Tempo-30-Zonen und 36 % in Tempo-50-Zonen. Auf Autobahnen betrug die Übertretungsrate 31 %, ausserorts war sie mit 18 % am niedrigsten (mehr Informationen zur Verbreitung von Geschwindigkeitsüberschreitungen bei Lenkerinnen und Lenkern von PW finden sich hier) ((Link zu PW – Risikofaktor Geschwindigkeit Zielgruppe)). 

Gefährlichkeit

Die Sterbewahrscheinlichkeit von Motorradlenkenden bei Kollisionen hängt auch von der Geschwindigkeit des Kollisionsgegners ab.

In einer Studie mit GIDAS-Daten (German In-Depth Accident Study) wurden Verletzungsrisikokurven und die Zusammenhänge zwischen Aufprallgeschwindigkeit (berechnet als Annäherungsgeschwindigkeit, d. h. relative Geschwindigkeit zwischen zwei Unfallbeteiligten) und Verletzungsergebnis für verschiedene Verkehrsteilnehmende untersucht [1].

Es zeigte sich, dass die sichere Annäherungsgeschwindigkeit bei einer Frontalkollision zwischen Motorrad und PW bei 48 km/h liegt. Eine sichere Annäherungsgeschwindigkeit ist eine Geschwindigkeit, bei der das Risiko von mindestens schweren Verletzungen (MAIS3+F, siehe Hinweis 1), in diesem Fall für Motorradlenkende, noch bei 10 % liegt.

Da es sich um eine Annäherungsgeschwindigkeit handelt, ist bei der Interpretation zu beachten, dass die Geschwindigkeiten beider Verkehrsteilnehmenden berücksichtigt werden müssen. Mit anderen Worten: Wenn ein Motorradlenker mit 30 km/h frontal auf einen PW zufährt, bleibt für den PW nur noch eine sichere Fahrgeschwindigkeit von 18 km/h.

In Verkehrssituationen, in denen sich PWs und Motorräder begegnen können, liegt die sichere Fahrgeschwindigkeit demnach zwischen 20 und 25 km/h. Diese Geschwindigkeit liegt deutlich unter der heutigen Praxis, bei der z. B. auf Landstrassen Autos und Motorräder mit deutlich höheren Geschwindigkeiten frontal aufeinandertreffen können.

Unfallrelevanz

Von 2019 bis 2023 wurden jährlich zehn Motorradfahrende bei Unfällen, die durch andere Verkehrsteilnehmende wegen nicht angepasster Geschwindigkeit verursacht wurden, schwer verletzt und zwei getötet.

Hauptverursachende waren in 90 % der Fälle zu gleichen Teilen PW-Lenkende und andere Motorradlenkende. Bei selbstverursachten Geschwindigkeitsunfällen werden jährlich 180 Motorradfahrende schwer verletzt und elf getötet. Geschwindigkeit ist somit ein zentraler Risikofaktor bei schweren Motorradunfällen. Dabei ist aber vor allem die Geschwindigkeit der Motorradfahrenden selbst relevant. Die Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmender spielt eine untergeordnete Rolle.

Hinweise

  1. MAIS3+f steht für «Maximum Abbreviated Injury Scale 3 oder höher, einschliesslich tödlicher Verletzungen (f für fatal)». Die Klassifikation der MAIS (Maximum Abbreviated Injury Scale) stammt ursprünglich aus der Abbreviated Injury Scale (AIS), die von der Association for the Advancement of Automotive Medicine (AAAM) entwickelt wurde. Die Skala dient dazu, die Schwere von Verletzungen standardisiert zu bewerten [2]. 

Quellen

[1] Lubbe N, Wu Y, Jeppsson H. Safe speeds: fatality and injury risks of pedestrians, cyclists, motorcyclists, and car drivers impacting the front of another passenger car as a function of closing speed and age. TSR. 2022; 2: 6. DOI:10.55329/vfma7555.

[2] Association for the Advancement of Automotive Medicine AAAAM. Abbreviated injury scale: 2015 revision. 6th ed. Chicago: AAAM; 2018.

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