Ausgangslage
Überhöhte oder unangepasste Geschwindigkeit ist ein zentraler Risikofaktor für Unfälle und Verletzungen im Schweizer Strassenverkehr (z. B. [1–4]). Sowohl die Unfallwahrscheinlichkeit als auch die Verletzungsschwere nehmen mit steigender Geschwindigkeit zu [2,3,5,6].
Lenkerinnen und Lenker, die mit hoher Geschwindigkeit fahren, haben weniger Zeit, um auf ein unerwartetes Ereignis zu reagieren. Obwohl die Reaktionszeit gleich bleibt, ist die zurückgelegte Strecke bei hoher Geschwindigkeit länger. Zudem verlängert sich der Bremsweg, da er im Quadrat zur Geschwindigkeit steht. Auch andere Verkehrsteilnehmende haben weniger Zeit, um auf ein schnell herannahendes Fahrzeug zu reagieren [3].
Unter überhöhter Geschwindigkeit versteht man das Fahren über der gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Unangepasste Geschwindigkeit bedeutet hingegen, dass die Geschwindigkeit nicht an die aktuellen Strassenverhältnisse, Verkehrsbedingungen oder Sichtverhältnisse angepasst ist.
In den OECD-Ländern haben Lenkende unter 24 Jahren im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil ein zwei- bis viermal höheres Risiko, bei einem Unfall getötet zu werden [7]. Die Hauptgründe für die höhere Unfallrate junger Lenkenden dürften in der mangelnden Erfahrung, verbunden mit unzureichenden Fahrfertigkeiten, sowie in der Unreife bei gleichzeitiger Risikobereitschaft liegen [7].
Verbreitung
Gemäss der Bevölkerungsbefragung 2022 der BFU gibt ein relativ hoher Anteil der Personenwagenlenkenden an, zumindest ab und zu zu schnell zu fahren. Auf Autobahnen und Ausserortsstrassen liegt dieser Anteil bei rund 75 %, auf Strassen mit Tempo 50 bei 57 % und auf Strassen mit Tempo 30 bei 47 % [8].
Der Anteil derjenigen, die angeben, oft zu schnell zu fahren, liegt auf Autobahnen bei 12 % und bei anderen Geschwindigkeitsregimes bei deutlich unter 10 %. Insbesondere auf Autobahnen ist der Anteil der jungen Erwachsenen, die angeben, oft zu schnell zu fahren, mit 27 % deutlich höher ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung (12 %).
Diese Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Befragten. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass einige Befragte die Häufigkeit ihres problematischen Verhaltens etwas untertrieben haben (sog. sozial erwünschtes Antwortverhalten). Da die Befragung online durchgeführt wurde, dürfte dieser Effekt jedoch nicht sehr gross sein.
Objektive Daten werden durch Beobachtungsstudien oder sogenannte «Naturalistic Driving Studies» (NDS, siehe Hinweis 1) gewonnen. Gemäss einer Studie, die auf Geschwindigkeitsmessungen von über 16 Millionen Fahrzeugen auf Schweizer Strassen basiert, halten sich 31 % der Lenkenden nicht an die zulässige Höchstgeschwindigkeit [4,9]. Diese Statistik enthält allerdings keine Angaben zu den Altersgruppen. Daten aus einer NDS in den USA zeigen, dass 16- bis 24-jährige Fahrzeuglenkende eine 1,5-mal höhere Odds Ratio (siehe Hinweis 2) für Geschwindigkeitsüberschreitungen aufweisen als Fahrzeuglenkende ab 80 Jahren [10].
Gefährlichkeit
Insgesamt wird das Gefahrenpotenzial von unangepasster Geschwindigkeit als sehr hoch eingeschätzt [11]. Steigt die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer Strasse, nimmt die Zahl der Unfälle zu – wobei die schweren Unfälle stärker zunehmen als die leichten.
Dieses Phänomen lässt sich durch physikalische Gesetzmässigkeiten erklären, die durch zahlreiche empirische Studien weltweit bestätigt wurden [6]. Der Zusammenhang zwischen Änderungen der Durchschnittsgeschwindigkeit und der Unfallhäufigkeit hängt von der Ausgangsgeschwindigkeit ab. Eine prozentuale Geschwindigkeitsänderung wirkt sich bei höheren Ausgangsgeschwindigkeiten stärker aus. Dieser Zusammenhang lässt sich am besten mit einem Exponentialmodell darstellen [6].
Für die Sicherheit von vulnerablen Verkehrsteilnehmenden (z. B. Fussgängerinnen und Fussgänger) ist die Fahrgeschwindigkeit besonders kritisch: Ihre Sicherheit hängt massgeblich von der Kollisionsgeschwindigkeit ab [12]. Gemäss einer Metaanalyse ist die Wahrscheinlichkeit, dass Fussgängerinnen und Fussgänger bei einer Kollision mit einem 50 km/h schnellen Fahrzeug getötet werden, sechsmal höher als bei einer Kollision mit einem 30 km/h schnellen Fahrzeug [13].
Unfallrelevanz
In den Jahren 2019 bis 2023 wurde ein Drittel aller im Strassenverkehr schwer verletzten oder getöteten 18- bis 24-Jährigen auf nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit (als Haupt- oder Mitursache des Unfalls) zurückgeführt, deutlich mehr als der entsprechende Anteil aller Altersgruppen (20 %) [14]. Der Anteil der Geschwindigkeitsunfälle an allen schweren Unfällen der 18- bis 24-jährigen Männer war mit 36 % deutlich höher als bei den gleichaltrigen Frauen (25 %).
18- bis 24-Jährige erleiden häufig schwere Geschwindigkeitsunfälle (18 %), gemessen an ihrem Anteil an allen schweren Unfällen (11 %). Unter den Hauptverursacherinnen und Hauptverursachern schwerer Geschwindigkeitsunfälle ist ihr Anteil mit 20 % besonders hoch.
Die Unfallstatistik für die Jahre 2019 bis 2023 zeigt zudem, dass die 18- bis 24-Jährigen unter den schwer verunfallten Mitfahrenden stark überrepräsentiert sind (17 %), insbesondere bei Geschwindigkeitsunfällen (30 %). Auch bei den schweren Geschwindigkeitsunfällen mit Personenwagen (28 %) und Motorrädern (24 %) ist der Anteil der jungen Erwachsenen sehr hoch. Zum Vergleich: Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen an der Gesamtbevölkerung beträgt nur 7 %.
Hinweise
- Zur Ermittlung der Verbreitung von Regelverstössen werden idealerweise Beobachtungsstudien oder «Naturalistic Driving Studies» (NDS) herangezogen. Diese Studien gelten als objektiv, weshalb ihnen die höchste Aussagekraft zugeschrieben wird. In NDS wird unter anderem das Fahrverhalten über einen gewissen Zeitraum mit verschiedenen On-Board-Kameras aufgezeichnet. So kann abgeschätzt werden, wie häufig verschiedene Verhaltensweisen unter «normalen» Bedingungen (ohne Unfall) auftreten (in Prozent der Fahrzeit). Die Verhaltensweisen werden sehr detailliert erfasst.
- Die Odds Ratio (OR) gibt an, um wie viel sich die Chance (Englisch: odds) für das Eintreten eines Ereignisses durch einen Einflussfaktor verändert. Zur Berechnung werden in einem ersten Schritt die Odds für ein Ereignis bei Vorhandensein des Einflussfaktors und die Odds für ein Ereignis bei Nichtvorhandensein des Einflussfaktors berechnet. «Odds» sind definiert als das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, zu der Wahrscheinlichkeit, dass es nicht eintritt. Diese beiden Odds werden dann zueinander ins Verhältnis gesetzt (Odds Ratio). Wie das Relative Risiko kann auch die Odds Ratio einen Wert zwischen 0 und unendlich annehmen. Auch hier weist eine OR > 1 auf einen positiven Zusammenhang hin [15].
Quellen
[1] Hertach P. Geschwindigkeitskontrollen: Empfehlungen aus Präventionssicht. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2021. Forschung 2.401. DOI:10.13100/BFU.2.401.01.2021.
[2] WHO. Managing speed. Geneva, Switzerland: WHO; 2017.
[3] Van den Berghe W, Pelssers B. Dossier thématique Sécurité routière no 9: Vitesse et vitesse excessive. Bruxelles: Institut VIAS – Centre de connaissance Sécurité routière; 2020.
[4] Niemann S. Geschwindigkeit auf Schweizer Strassen: Pilotprojekt zur Erhebung des Geschwindigkeitsverhaltens von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Forschung 2.378. DOI:10.13100/BFU.2.378.01.2020.
[5] Adminaité-Fodor D, Jost G. Reducing speeding in Europe. Brussels: European Transport Safety Council ETSC; 2019. PIN Flash Report 36.
[6] International Transport Forum ITF. Speed and crash risk: Research report. Paris: ITF; 2018.
[7] Shinar D. Traffic safety and human behavior. 2nd ed. Bingley: Emerald Group Publishing Limited; 2017.
[8] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2022: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle. Bern: BFU; 2022.
[9] Niemann S. Geschwindigkeiten auf Schweizer Strassen. VSS Strasse und Verkehr. 2021; 107(12): 32–38.
[10] Perez MA, Sears E, Valente JT et al. Factors modifying the likelihood of speeding behaviors based on naturalistic driving data. Accident; analysis and prevention. 2021; 159: 106267. DOI:10.1016/j.aap.2021.106267.
[11] Walter E, Achermann Stürmer Y, Ewert U et al. Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. Sicherheitsdossier Nr. 13.
[12] Ewert U, Scaramuzza G, Niemann S, Walter E. Der Faktor Geschwindigkeit im motorisierten Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2010. Sicherheitsdossier Nr. 06.
[13] Hussain Q, Feng H, Grzebieta R et al. The relationship between impact speed and the probability of pedestrian fatality during a vehicle-pedestrian crash: A systematic review and meta-analysis. Accid Anal Prev. 2019; 129: 241–249. DOI:10.1016/j.aap.2019.05.033.
[14] Hertach P, Uhr A, Achermann Stürmer Y et al. Sinus 2024: Sicherheitsniveau und Unfallgeschehen im Strassenverkehr 2023. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.536.01.2024.
[15] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.