Verhaltensvorschriften zur Prävention von Motorradunfällen
Einleitung
Verhaltensvorschriften sind für einen geordneten Ablauf des Strassenverkehrs unabdingbar und spielen auch bei der Förderung eines sicheren Verhaltens eine wichtige Rolle. Sie geben klare Anweisungen, wie sich die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer in verschiedenen Situationen verhalten sollen. So können Gefahren- und Konfliktsituationen minimiert werden.
Im Folgenden werden die aus Präventionssicht wichtigsten existierenden Verhaltensvorschriften für Motorradfahrende in der Schweiz beschrieben, beurteilt und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Aktuelle Situation
Das Strassenverkehrsgesetz schreibt in Art. 26 SVG [1] vor, dass sich alle Verkehrsteilnehmenden stets so verhalten müssen, dass sie andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse nicht behindern oder gefährden. Sie müssen sich vorausschauend und rücksichtsvoll verhalten.
Neben dieser allgemeinen Verhaltensvorschrift gibt es weitere Bestimmungen, um riskantes Verhalten zu vermeiden. Im Hinblick auf die häufigsten Risikofaktoren und Unfallursachen bei schweren Verkehrsunfällen sind auch für Motorradfahrende die Verhaltensvorschriften zu Alkohol, Drogen und Medikamenten sowie Ablenkung und Müdigkeit relevant. Diese sind ausführlich hier erläutert [Link zu Alle_Präventionsansätze_Verhaltensvorschriften].
Aufgrund ihrer Relevanz für das Unfallgeschehen der Motorradfahrenden sind die Vorschriften zum Einhalten der geltenden Höchstgeschwindigkeit und vor allem die Pflicht zur Anpassung der Geschwindigkeit bei widrigen Umständen (Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4 Abs. 1 VRV) [1,2] zentral. Auch Art. 31 Abs. 1 ist für Motorradfahrende und deren komplexe Fahraufgaben relevant: «Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.»
Weitere Verhaltensvorschriften für Motorradfahrende betreffen die Pflicht zum Tragen eines nach UNECE-Reglement 22 geprüften Helms (Art. 57 Abs. 5b. SVG, Art. 3b Abs. 1 und 3 VRV), erlauben Mitfahrende nur, wenn diese die vorhandenen Fussrasten erreichen können (Art. 63 Abs. 1 VRV) und umfassen das Verbot, nebeneinander zu fahren oder stehende Kolonnen zu überholen (Art. 47 SVG).
Präventionsnutzen
Rechtliche Verhaltensvorschriften spielen für die Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle. Der hohe Nutzen ergibt sich auch daraus, dass der Gesetzgeber bei Unfall- und Verletzungsrisiken ansetzt und wenn möglich konkrete Vorgaben macht. Damit Verhaltensvorschriften tatsächlich befolgt werden und ihren präventiven Nutzen entfalten, bedarf es auch eines konsequenten Vollzugs und einer Sanktionsandrohung, gegebenenfalls auch begleitender Sensibilisierungsmassnahmen.
Für die Motorradfahrenden war die Einführung der Helmtragpflicht im Jahr 1981 eine der zentralen Sicherheitsmassnahmen, da der Helm vor schweren und tödlichen Kopfverletzungen schützen kann. Aber auch Alkoholgrenzwerte in Kombination mit öffentlicher Sensibilisierung und verstärkten Kontrollen konnten die Zahl der alkoholbedingten Verkehrsunfälle von Motorfahrzeuglenkenden signifikant reduzieren [3,4]. Geschwindigkeitsbegrenzungen mit ausreichender Durchsetzung und begleitender Öffentlichkeitsarbeit tragen ebenfalls wesentlich zur Reduktion von Unfällen und Verletzungen bei [3]. Die genaue Wirksamkeit von Vorschriften ist jedoch schwer zu quantifizieren.
Optimierungspotential
Verhaltensvorschriften sind grundsätzlich im Sinne der Prävention. Im Rahmen der regelmässigen Revisionen der Gesetze und Verordnungen gilt es zumindest sicherzustellen, dass keine Abschwächungen vorgenommen werden und die Neuerungen nicht sicherheitsabträglich sind.
Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern lassen sich folgende Optimierungsmöglichkeiten für Motorradfahrende ableiten: In der Schweiz existiert eine Helmtragpflicht. Diese wird auch von nahezu 100 % der Motorradfahrenden umgesetzt [5]. Der Kinnriemen des Helms muss aber nicht geschlossen sein. Im Falle eines Unfalls kann dies zum Verlust des Helms führen. Im Einzelfall kann dies zur Kürzung des Schadensersatzes führen. Eine Ergänzung der Verhaltensvorschrift mit der Anweisung, dass der Kinnriemen geschlossen sein muss, würde für mehr Klarheit sorgen.
Auch eine Verhaltensvorschrift für andere Schutzausrüstung wie z. B. das in Frankreich vorgeschriebene Tragen von CE-zertifizierten Motorradhandschuhen oder weiterer Motorradschutzausrüstung – wie es z. B. in Belgien der Fall ist – könnte die Verletzungsfolgen bei Motorradunfällen mindern.
Fazit
Die Verhaltensvorschriften für Motorradfahrende sind grundsätzlich zweckmässig und wirksam, weisen jedoch Optimierungspotenzial auf. Lücken bestehen z. B. beim Helm oder bei der Schutzausrüstung. Internationale Beispiele zeigen, wie gezielte Anpassungen die Sicherheit erhöhen können. Entscheidend für die Wirksamkeit sind neben klaren Regeln auch deren Vollzug, die Höhe der Sanktion bei Verstössen sowie die gesellschaftliche Akzeptanz.
Quellen
[1] Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01).v
[2] Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11).
[3] Bevan Kirley, Kristel Robison, Arthur Goodwin et al. Countermeasures That Work: A Highway Safety Countermeasure Guide for State Highway Safety Offices. 11th Edition: National Highway Traffic Safety Administration NHTSA; 2023.
[4] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[5] Niemann S. Erhebungen 2024: Persönliche Schutzausrüstung beim Motorradfahren. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.547.01.2024.