Ausgangslage
Im Gesamtunfallgeschehen hat die Geschwindigkeit als Unfallursache in den letzten 10 Jahren (2013–2023) abgenommen [1]. Dennoch bleibt sie ein zentraler Risikofaktor für Unfälle und Verletzungen im Strassenverkehr.
Einerseits verkürzen hohe Geschwindigkeiten die Reaktionszeit auf spät erkennbare oder plötzlich auftauchende Hindernisse. Andererseits ist der Zusammenhang mit der Verletzungswahrscheinlichkeit bzw. -schwere überproportional stark, da eine hohe Geschwindigkeit zu einem überproportional langen Anhalteweg bzw. zu einer überproportional hohen Kollisionsgeschwindigkeit führt [2].
«Zu schnell sein» bedeutet nicht nur, die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten. Es kann auch bedeuten, die Geschwindigkeit nicht den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen.
Verbreitung
Im Jahr 2019 hat die BFU an verschiedenen Ortslagen Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt [3,4]. Die mittleren gefahrenen Geschwindigkeiten liegen in Tempo-50-, Tempo-80- und Tempo-120-Regimes unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Eine Ausnahme bilden die Tempo-30-Regimes mit einer mittleren Geschwindigkeit von 31,6 km/h. Bei Tempo 80 ist die Einhaltequote am höchsten, bei Tempo 30 innerorts am niedrigsten.
Leichte Motorwagen fahren in den Regimes 50, 80 und 120 km/h im Durchschnitt unter den gesetzlichen Limits. Die Einhaltequoten liegen bei Tempo 50 bei 64 %, bei Tempo 80 bei 82 % und bei Tempo 120 bei 69 %. In Tempo-30-Regimes liegt bereits die Durchschnittsgeschwindigkeit mit 31,6 km/h über dem Limit. Entsprechend niedrig ist die Einhaltequote (47 %). 15 % der Motorradfahrenden fahren auf Autobahnen 129 km/h und schneller. ⅔ halten sich jedoch an die signalisierte Geschwindigkeit.
Ausserorts fahren 15 % 85 km/h und schneller, die Einhaltequote liegt bei 75 %. In Tempo-50- und Tempo-30-Regimes zeigt sich bei den Motorradfahrenden ein ähnliches Bild wie bei den Lenkenden der leichten Motorwagen: Auch sie halten sich in den tiefen Geschwindigkeitsregimes weniger häufig an die Tempolimits.
Schwere Motorfahrzeuge weisen in Tempo-30-Regimes mit 56 % die höchste Einhaltequote aller Fahrzeugklassen und mit 30,2 km/h auch die niedrigste Durchschnittsgeschwindigkeit auf. Bei Tempo 50 sind die Kennwerte noch positiver und ausserorts (Tempo 80) steigt die Einhaltequote auf 87 %. Es ist davon auszugehen, dass bei vielen Fahrzeugen technische Einrichtungen wie der Fahrtenschreiber die Einhaltung der Geschwindigkeit begünstigen.
Weitere Auswertungen zeigen, dass in den Nachtstunden die gefahrenen Geschwindigkeiten ansteigen und die Einhaltequoten sinken. Auch tagsüber an Wochenenden wurden niedrigere Einhaltequoten ermittelt.
Per Definition dürfen signalisierte oder gesetzliche Höchstgeschwindigkeiten nicht überschritten werden. Würden sich alle Fahrzeuglenkenden daran halten, müssten Einhaltequoten von 100 % erreicht werden. Der höchste ermittelte Wert liegt bei 89 %, der niedrigste bei 28 %, d. h., im letzteren Fall halten sich 72 % der Lenkenden nicht an das Limit. Generell ist festzustellen, dass die Einhaltequote mit tieferer signalisierter Geschwindigkeit sinkt. Die niedrigsten Werte wurden auf Tempo-30-Strecken ermittelt.
Zur Verbreitung von nicht angepasster Geschwindigkeit an Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnisse liegen keine Daten vor.
Gefährlichkeit
Insgesamt wird das Gefahrenpotenzial von unangepasster Geschwindigkeit als sehr hoch eingeschätzt [5]. Wissenschaftliche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Unfallrisiko sowie Unfallschwere: Mit steigender Durchschnittsgeschwindigkeit von Personenwagen (PW) steigt das Unfallrisiko, und die Unfallschwere nimmt zu (vgl. Abbildung 1 [3,6]).
Abbildung 1 zeigt, dass bei einer Erhöhung der gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeit um 5 % bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h mit einer Zunahme der Getöteten um 13 % zu rechnen ist. Bei 50 km/h um 22 %, bei 80 km/h um 38 % und bei 120 km/h um 63 %.
((einfügen Abbildung 1))
Neben der mathematischen Modellierung des Zusammenhangs zwischen Geschwindigkeitsniveau und Unfallgeschehen bestätigte eine Übersicht über einzelne Fallstudien den Zusammenhang zwischen der Änderung von Geschwindigkeitslimits und dem Unfallgeschehen [9]. Die Grundaussage dieses Zusammenhangs ist, dass mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit das Unfallrisiko und die Unfallschwere nicht linear, sondern exponentiell ansteigen.
Für die Sicherheit von vulnerablen Verkehrsteilnehmenden (z. B. Fussgängerinnen und Fussgänger) ist die Fahrgeschwindigkeit besonders kritisch: Ihre Sicherheit hängt massgeblich von der Kollisionsgeschwindigkeit ab [10]. Eine Metaanalyse [11] belegt diesen Zusammenhang eindrücklich (Abbildung 2). Die Wahrscheinlichkeit, dass Fussgängerinnen und Fussgänger bei einer Kollision mit einem 50 km/h schnellen Fahrzeug getötet werden, ist sechsmal höher als bei einer Kollision mit einem 30 km/h schnellen Fahrzeug.
((einfügen Abbildung 2))
Unfallrelevanz
Die Zahl der schweren Geschwindigkeitsunfälle war in der ersten Hälfte der letzten Dekade (2012–2022) rückläufig, steigt nun aber wieder an. Allerdings zeigen sich je nach Mobilitätsform Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung: Bei den PW-Insassinnen und PW-Insassen ist ein deutlicher Rückgang der schweren Personenschäden bei Geschwindigkeitsunfällen zu verzeichnen (–45 %). Bei den Motorrad- und E-Bike-Fahrenden ist hingegen eine Zunahme zu verzeichnen, die bei den Motorradfahrenden stärker und bei den E-Bike-Fahrenden geringer ausfällt als die Zunahme ihrer Unfälle insgesamt.
Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre (2019–2023) wurden bei Geschwindigkeitsunfällen 744 Personen schwer und 59 tödlich verletzt. Am stärksten betroffen waren Motorradfahrende und PW-Insassinnen und PW-Insassen. Zusammen machen diese Verkehrsteilnehmergruppen 62 % der Schwerverletzten und 78 % der Getöteten bei Geschwindigkeitsunfällen aus. Damit sind beide Gruppen bei Geschwindigkeitsunfällen im Vergleich zu ihrem Anteil am Gesamtunfallgeschehen übervertreten.
Für Motorradfahrende sind diese Unfälle gravierender als für PW-Insassinnen und PW-Insassen: Von 10 000 bei Geschwindigkeitsunfällen verletzten Personen sterben im PW 140 Personen – auf dem Motorrad sind es 285. Das höchste Sterberisiko tragen jedoch die Fussgängerinnen und Fussgänger mit 398 Getöteten pro 10 000 Verletzte.
Insgesamt wird bei etwa jedem 5. schweren Unfall nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit als Haupt- oder Mitursache registriert. Am höchsten ist dieser Anteil bei Unfällen ausserorts (32 %) sowie bei Schleuder- und Selbstunfällen (28 %). Im Tessin liegt der Anteil der Geschwindigkeitsunfälle mit 9 % deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt.
Von allen Fahrzeuglenkenden, die an einem schweren Unfall beteiligt waren, waren 11 % mit nicht angepasster oder überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Dieser Anteil ist bei den Männern höher als bei den Frauen, bei den 18- bis 24-Jährigen höher als bei den anderen Altersgruppen und bei den Motorradfahrenden höher als bei den übrigen Verkehrsteilnehmenden [1].
Quellen
[1] Hertach P, Uhr A, Achermann Stürmer Y et al. Sinus 2024: Sicherheitsniveau und Unfallgeschehen im Strassenverkehr 2023. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.536.01.2024.
[2] Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV, Hg. Bremsweg – Begleitheft zum Computerprogramm: Ein Animationsprogramm zur Problematik rund um den Anhalteweg. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV; 1990.
[3] Niemann S. Geschwindigkeit auf Schweizer Strassen: Pilotprojekt zur Erhebung des Geschwindigkeitsverhaltens von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Forschung 2.378. DOI:10.13100/BFU.2.378.01.2020.
[4] Niemann S. Geschwindigkeiten auf Schweizer Strassen. VSS Strasse und Verkehr. 2021; 107(12): 32–38.
[5] Walter E, Achermann Stürmer Y, Ewert U et al. Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. Sicherheitsdossier Nr. 13.
[6] Hertach P. Geschwindigkeitskontrollen: Empfehlungen aus Präventionssicht. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2021. Forschung 2.401. DOI:10.13100/BFU.2.401.01.2021.
[7] Finch DJ, Kompfner P, Lockwood CR, Maycock G. Speed, speed limits and accidents. Crowthorne, Berkshire: Transport Research Laboratory TRL; 1994. Project Report 58.
[8] Elvik R, Vadeby A, Hels T, van Schagen I. Updated estimates of the relationshipp between speed and road safety at the aggregate and individual levels. Accid Anal Prev. 2019;(123): 114–122.
[9] International Transport Forum ITF. Speed and crash risk: Research report. Paris: ITF; 2018.
[10] Ewert U, Scaramuzza G, Niemann S, Walter E. Der Faktor Geschwindigkeit im motorisierten Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2010. Sicherheitsdossier Nr. 06.
[11] Hussain Q, Feng H, Grzebieta R et al. The relationship between impact speed and the probability of pedestrian fatality during a vehicle-pedestrian crash: A systematic review and meta-analysis. Accid Anal Prev. 2019; 129: 241–249. DOI:10.1016/j.aap.2019.05.033.