Gefahrenstellen und Defizite in der Strassenverkehrsinfrastruktur als Risikofaktor bei Verkehrsunfällen von Kindern

Gefahrenstellen oder Defizite in der Strassenverkehrsinfrastruktur erhöhen das Unfallrisiko für Kinder. Sie können dazu führen, dass sich die Kinder, aber auch andere Verkehrsteilnehmende, nicht sicher verhalten.

Ausgangslage

Die Verkehrsinfrastruktur hat einen grossen Einfluss auf die Verkehrssicherheit der Kinder. Im Folgenden wird auf die Gefahrenstellen und Defizite für Kinder zu Fuss und mit dem Velo eingegangen.

Die Strasseninfrastruktur ist stark auf den motorisierten Verkehr ausgerichtet. Die fussgänger- und velospezifischen Infrastrukturelemente weisen oft Defizite auf. Diese können die Folge einer ungenügenden Netzplanung sein. Aber auch bei einer adäquaten Netzplanung können die einzelnen Infrastrukturelemente sicherheitstechnische Mängel aufweisen. Defizite in der Strasseninfrastruktur treten auf verschiedenen Ebenen auf und lassen sich in drei Kategorien einteilen [1,2]:

  • Fehlende Infrastrukturelemente: z. B. fehlende Velowege trotz hoher Nachfrage und ausreichenden Platzverhältnissen, fehlende Beleuchtung bei einem Fussgängerstreifen
  • Falsche Infrastrukturelemente: z. B. markierte Velostreifen trotz ungenügender Platzverhältnisse, Fussgängerstreifen bei flächigem Querungsbedarf
  • Fehlerhafte Infrastrukturelemente: z. B. zu schmale Velostreifen, falsche Platzierung des Fussgängerstreifens

Auch der Unterhalt und die Instandhaltung der Strasseninfrastrukturelemente beeinflussen die Verkehrssicherheit.

Für Kinder besonders relevant sind folgende Gefahrenstellen und Defizite [3–6]:

  • Defizite in der Netzplanung des Fuss- und Veloverkehrs: nicht durchgängige Geh- und Velowege
  • Sichtbehinderungen: generelle Sichtbehinderungen oder Sichtbeeinträchtigungen auf Trottoirs, bei Fussgängerstreifen, auf der Veloinfrastruktur und/oder bei Knoten
  • Weitere Defizite an Querungsstellen für den Fussverkehr: fehlende oder unzureichend gestaltete Querungsstellen (insbesondere an Hauptverkehrsstrassen), fehlende oder zu schmale Mittelinseln, Errichten eines Fussgängerstreifens trotz nicht erfüllter baulicher und betrieblicher Kriterien, fehlende Querungshilfen an Stellen ohne Vortritt
  • Weitere Defizite für den Fussverkehr im Längsverkehr: z. B. fehlende oder zu schmale Trottoirs bei stark frequentierten Strassen oder einem höheren Geschwindigkeitsregime
  • Weitere Defizite in der Veloinfrastruktur: zu schmale Velostreifen, fehlende Velowege ausserorts, fehlender baulicher Schutz für den linksabbiegenden oder querenden Veloverkehr

Verbreitung

Es gibt keine Übersicht darüber, welcher Anteil der Schweizer Verkehrsinfrastruktur, die von Kindern genutzt wird, Gefahrenstellen und infrastrukturelle Sicherheitsdefizite aufweist. Es ist aber davon auszugehen, dass es noch eine Vielzahl an Defiziten gibt.

Im Kanton Zürich werden die Ergebnisse der Road Safety Inspections (RSI, SN 641 723) systematisch dokumentiert und analysiert. Das häufigste Sicherheitsdefizit mit hoher Ausprägung (Defizite, die mit einem sehr grossen oder erheblichen Unfallrisiko einhergehen) betreffend Fussverkehr (die dokumentierten Defizite beziehen sich auf alle Altersgruppen, nicht spezifisch auf Kinder) im Jahr 2023 war der Fussgängerstreifen. An zweiter und dritter Stelle folgten Art und Geometrie der Fussgängerlängsführung sowie Fussgängerquerung ohne Vortritt.

Von den Sicherheitsdefiziten, die auch für den Veloverkehr relevant sind, war das häufigste Sicherheitsdefizit mit hoher Ausprägung ungenügende Knotensichtweiten. Weitere öfters aufgetretene Defizite waren fehlerhafte Knotengeometrie, die Geometrie der Velolängsführung, der Querschnitt der Verkehrsführung sowie die Art der Velolängsführung [7].

Erfahrungen aus der Praxis zur Schulwegsicherheit zeigen, dass ungenügende Sichtverhältnisse häufig sind, etwa bei Querungen oder Grundstückzufahrten, z. B. bedingt durch Hecken, Mauern oder parkierte Fahrzeuge. Für Erwachsene würden die Sichtverhältnisse zwar oft ausreichen, kleinere Kinder können jedoch nicht über eine Hecke blicken oder vom Auto rechtzeitig gesehen werden [8]. Ebenfalls öfters anzutreffen sind nicht kindgerechte Querungshilfen, v. a. bei mehrspurigen bzw. stark befahrenen Strassen und bei hohen Geschwindigkeitslimits.

Gefährlichkeit

Inwieweit defizitäre Infrastrukturen und Gefahrenstellen das Unfall- und Verletzungsrisiko von Kindern erhöhen, lässt sich mangels entsprechender Forschungsergebnisse kaum quantifizieren. Klar ist jedoch, dass solche Defizite das Unfallrisiko erhöhen, da sie dazu führen können, dass sich die Kinder, aber auch andere Verkehrsteilnehmende, nicht sicher verhalten.

Sichthindernisse, beispielsweise am Strassenrand, behindern die Sicht der Kinder und erschweren es den Motorfahrzeuglenkenden, ein Kind rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren, wenn es auf die Fahrbahn tritt bzw. die Strasse quert. Eine ältere Studie kam diesbezüglich zum Schluss, dass die Anwesenheit solcher Hindernisse mit einem 2,7-fach erhöhten Fussgängerunfallrisiko von Kindern einhergeht [9].

Beim Velofahren bergen infrastrukturelle Defizite und Gefahrenstellen die Gefahr von Stürzen, kritischen Ausweichmanövern und Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Fehlende Velospuren erhöhen beispielsweise das Kollisionsrisiko. Falsche oder fehlerhafte Infrastrukturelemente wie z. B. Velowege trotz vieler Grundstückzufahrten oder Einmündungen können Velofahrenden auch eine Scheinsicherheit vermitteln und zu verminderter Vorsicht führen [1].

Unfallrelevanz

Aus der Unfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, welche Unfälle von Kindern auf infrastrukturelle Defizite und Gefahrenstellen zurückzuführen sind. Dennoch ist aufgrund ihrer weiten Verbreitung und Gefährlichkeit davon auszugehen, dass sie eine wichtige Rolle im Unfallgeschehen der Kinder spielen.

Die Unfallstatistik kann zumindest häufige Unfallkonstellationen aufzeigen und damit auf Schwerpunkte mit Handlungsbedarf hinweisen, auch wenn die Rolle der Infrastruktur dabei nicht explizit nachgewiesen werden kann. Folgende Konstellationen sind bei schweren Unfällen von Kindern zu Fuss und auf dem Velo häufig (Unfalldaten Ø 2019–2023):

  • Fast 90 % der schweren Unfälle von Kindern ereignen sich innerorts.
  • ⅔ der Unfälle von Kindern zu Fuss oder mit fahrzeugähnlichen Geräten passieren beim Queren einer Strasse, davon 46 % auf und 54 % abseits von Fussgängerstreifen.
  • Bei den schweren Velounfällen handelt es sich zu 52 % um Schleuder-/Selbstunfälle und zu 46 % um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden.
  • Schwere Kollisionen von velofahrenden Kindern ereignen sich verhältnismässig häufig an Verzweigungen (40 %).
  • Die meisten schweren Velounfälle (84 %) geschehen auf keiner spezifischen Veloinfrastruktur, d. h. weder auf Velowegen noch auf Velostreifen.

Hinweise

  • Eine detailliertere Beschreibung der Gefahrenstellen und Defizite für den Fuss- und Veloverkehr findet sich auf separaten Seiten (Link Gefahrenstellen/Defizite Fussgänger; Link Gefahrenstellen/Defizite Velo). Die Komplexität der Verkehrssituation, die für Kinder eine Überforderung darstellen kann, wird als separater Risikofaktor behandelt (Link Kinder_Risikofaktoren_Infrastruktur_Komplexitaet_Anspruchsniveau_Zielgruppe.docx). 
  • Die Analyse der Hauptursachen in der schweizerischen Verkehrsunfallstatistik liefert nur begrenzt Hinweise auf infrastrukturelle Defizite. Im Fokus der Ermittlungen stehen meist unmittelbar sichtbare menschliche Faktoren und die Klärung von Verantwortlichkeiten. Infrastrukturelle Mängel erfordern hingegen oft eine spezifischere technische Analyse, die über die Routineunfallaufnahme hinausgeht, z. B. mittels der Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente (ISSI).
  • Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei Velounfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.

Quellen

[1] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.

[2] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fussverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2013. Sicherheitsdossier Nr. 11.

[3] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. Fussgängerstreifen. Bern: BFU; 2016. Fachdokumentation Verkehrstechnik MS.013-2016.

[4] Uhr A, Allenbach R, Ewert U et al. Sicherheit von Kindern im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2017. Sicherheitsdossier Nr. 16. DOI:10.13100/bfu.2.280.01.

[5] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. Kinder mit dem Velo auf dem Trottoir. Bern: BFU; 2021. Fachdokumentation Verkehrstechnik MS.007-2021.

[6] Degener S, Marthaler K, Schürch B et al. Schulweg: Leitfaden für Schulwegplanung. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. Fachdokumentation 2.365.

[7] Ringel L. Road Safety Inspection Jahresbericht 2023. Zürich: Tiefbauamt Kanton Zürich – Fachstelle Verkehrssicherheit; 2023.

[8] Kaufmann-Hayoz R, Hofmann H, Tschopp O et al. Der Verkehr aus Sicht der Kinder: Schulwege von Primarschulkindern in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Strassen ASTRA; 2010. Forschungsbericht ASTRA 1312.

[9] Stevenson MR, Jamrozik K, Spittle J. A case-control study of traffic risk factors and child pedestrian injury. Int J Epidemiol. 1995; 24(5): 957-964. DOI:10.1093/ije/24.5.957.

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