Fussgängerunfälle: Vortrittsmissachtung der Fussgängerinnen und Fussgänger

Selbstbegangene Vortrittsmissachtungen sind eine relevante Ursache für schwere Unfälle von Fussgängerinnen und Fussgängern. Am häufigsten sind Kinder im Alter zwischen 0 und 14 Jahren betroffen.

Ausgangslage

Die Missachtung des Vortritts durch Fussgängerinnen und Fussgänger ist eine relevante Unfallursache im Strassenverkehr. Häufig handelt es sich dabei um «unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn».

Die Ursachen für Vortrittsmissachtungen durch Fussgängerinnen und Fussgänger sind aus der Verkehrsunfallstatistik nicht direkt ersichtlich. In der Fachliteratur werden jedoch verschiedene mögliche Gründe genannt:

  • Entwicklungsbedingte Defizite: Diese betreffen vor allem Kinder und ältere Menschen. Diese Defizite umfassen verschiedene Aspekte wie Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Spielmotive und Körpergrösse.
  • Eingeschränkte Risikokompetenz: Die Risikokompetenz umfasst die Fähigkeit, potenzielle Gefahren zu erkennen und richtig einzuschätzen sowie sicherheitsorientierte Entscheide zu treffen und diese auch bei widersprüchlichen Motiven umzusetzen. Wichtige Grundlagen dafür sind ein ausreichendes verkehrsrelevantes Wissen und ein Gefahrenbewusstsein. Verkehrsteilnehmende mit entwicklungsbedingten Defiziten sind hier benachteiligt.
  • Eingeschränkte momentane Leistungsfähigkeit: Aspekte, die die momentane Fähigkeit zur sicheren Verkehrsteilnahme einschränken, sind beispielsweise Alkohol oder Ablenkung. Alkohol führt z. B. zu Beeinträchtigungen sowohl der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung wie auch des Sicherheitsbewusstseins und der Motorik. 

Verbreitung

Wie häufig Fussgängerinnen und Fussgänger den Vortritt missachten, lässt sich nur schwer abschätzen. Eine videobasierte Analyse des Vortrittsverhaltens an Fussgängerstreifen an acht Standorten in der Schweiz [1] hat gezeigt, dass Fussgängerinnen und Fussgänger in durchschnittlich knapp 3 % der Vortrittsmissachtungen die fehlbaren Verkehrsteilnehmenden sind. 

Die Resultate der «E-Survey of Road User’s Attitudes» 2023 (ESRA-Befragung) geben Hinweise auf die Verbreitung bestimmter Verhaltensweisen von Fussgängerinnen und Fussgängern, die mit möglichen Ursachen von Vortrittsmissachtungen in Zusammenhang stehen. Die Befragung von 910 Personen in der Schweiz zeigt, dass solche Verhaltensweisen in der Schweiz nicht selten sind. Es zeigte sich, dass in den letzten 30 Tagen

  • 65 % mindestens einmal eine Nachricht oder News gelesen haben oder auf Social Media waren, während sie die Strasse entlanggingen (eingeschränkte momentane Fähigkeit durch Ablenkung).
  • 39 % mindestens einmal die Strassen entlanggingen, obwohl sie glaubten, zu viel getrunken zu haben (eingeschränkte momentane Fähigkeit durch Alkoholkonsum).
  • 48 % mindestens einmal Musik über Kopfhörer gehört haben, während sie die Strasse entlanggingen (eingeschränkte momentane Fähigkeit durch Ablenkung).

Zudem gaben 65 % der Befragten an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal den Fussgängerstreifen nicht benützt zu haben, obwohl ein solcher in der Nähe war, und 44 % gaben an, mindestens einmal bei Rot die Strasse überquert zu haben [2]. 

Aus der Unfallstatistik lässt sich ableiten, dass Fussgängerinnen und Fussgänger den Vortritt relativ häufig missachten: 15 % aller schweren Personenschäden bei Fussgängerinnen und Fussgängern sind darauf zurückzuführen. 

Die häufigste Art der Vortrittsmissachtung ist das unvorsichtige Überqueren der Fahrbahn. Sie macht 75 % der schweren Personenschäden aus, die Fussgängerinnen und Fussgänger durch das Missachten des Vortritts verursachen. Das Missachten des Rotlichts spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle (4 %). Bei den jüngeren Fussgängerinnen und Fussgängern (0–14 Jahre) ist diese Ursache häufiger (30 %). Unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn wird mehrheitlich (84 %) bei Querungen abseits von Fussgängerstreifen registriert. 

Gefährlichkeit

Wie häufig eine Vortrittsmissachtung von Fussgängerinnen und Fussgängern letztlich zu einem Unfall führt, kann mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden. Insgesamt ist aber aufgrund der hohen Unfallrelevanz davon auszugehen, dass Vortrittsmissachtungen mit einem erhöhten Kollisionsrisiko verbunden sind.

Gemäss der Unfallstatistik werden 28 % der Fussgängerinnen und Fussgänger, die wegen einer Vortrittsmissachtung bei einem Unfall verletzt wurden, schwer oder tödlich verletzt. 72 % werden leicht verletzt (Ø 2019–2023).

Unfallrelevanz

15 % aller schweren Personenschäden bei Fussgängerinnen und Fussgängern sind auf selbst begangene Vortrittsmissachtung zurückzuführen (Ø 2019–2023). Von diesen Personenschäden betreffen 31 % Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren.

In 4 % dieser Fälle bestand der Verdacht auf Alkoholeinfluss. Ablenkung wurde in keinem Fall als Mitursache registriert. Allerdings ist hier von einer Dunkelziffer auszugehen. Zum einen zeigen die polizeilichen Unfalldaten, dass bei Vortrittsmissachtungen durch Fussgängerinnen und Fussgänger eher selten weitere (Mit-)Ursachen erfasst werden, zum anderen ist davon auszugehen, dass fehlbare Fussgängerinnen und Fussgänger nur ungern zugeben, beim Queren der Strassen durch z. B. ein Mobiltelefon abgelenkt gewesen zu sein.

Hinweise

  1. In diesem Text werden unter Vortrittsmissachtungen alle Hauptursachen der Hauptursachengruppe «Vortritt» aus der Verkehrsunfallstatistik verstanden. Zusätzlich werden folgende Unfallarten einbezogen: Alle Kollisionen zwischen einem geradeaus fahrenden Fahrzeug, einem Rechtsabbieger oder einem Linksabbieger mit einem querenden Fussgänger mit den Hauptursachen «Unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn», «Springen, Laufen oder Spielen auf der Fahrbahn» oder «Missachten von Lichtsignalen». 

Quellen

[1] Baumann D, Brucks W. Vortrittsmissachtung am Fussgängerstreifen. Strasse und Verkehr. 2020;(4-5): 31–37.

[2] Vias Institute. Switzerland – ESRA3 Country Fact Sheet. ESRA3 survey (E-Survey of Road Users’ Attitudes). Version 2 (01/2024): Vias Institute; 2023.

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