Entwicklungsbedingte Einschränkungen von Jugendlichen: Einfluss auf das Unfallrisiko

Im Jugendalter kommt es zu verschiedenen physischen, psychischen und sozialen Veränderungen. Diese können riskantes Verhalten begünstigen und das Unfallrisiko erhöhen.

Ausgangslage

Im Jugendalter sind die meisten körperlichen und geistigen Fähigkeiten für eine sichere Verkehrsteilnahme fertig ausgebildet. Einzelne Bereiche, vor allem die exekutiven Funktionen, aber auch gewisse Formen der Aufmerksamkeit sind jedoch noch in Entwicklung und es kommen andere für die Verkehrssicherheit relevante Veränderungen dazu [1].

Im Jugendalter kommt es zu verschiedenen physischen, psychischen und sozialen Veränderungen. Im physischen Bereich verändern sich beispielsweise die Muskelkraft, der Hormonhaushalt und die Gehirnstruktur.

Im Gehirn kommt es zu einer grundlegenden Neuorganisation, insbesondere im präfrontalen Kortex. Der präfrontale Kortex ist für eine Vielzahl höherer kognitiver Funktionen verantwortlich wie Planung, Entscheidungsfindung, Impulskontrolle, Risikoabschätzung und soziales Verhalten.

Auf psychischer und sozialer Ebene werden u. a. die eigene Identität sowie die eigene Rolle in der Gesellschaft gesucht und die Bedeutung von Gleichaltrigen (Peers) nimmt zu. Hinzu kommen neue Möglichkeiten wie die Nutzung von Motorrädern und der Zugang zu Alkohol[1,2].

Die Neuorganisation resp. die späte Reifung des präfrontalen Kortex sowie die sozialen und psychischen Veränderungen wirken sich in vielerlei Hinsicht aus: Jugendliche können z. B. Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen und Impulse zu regulieren und langfristige Konsequenzen ihrer Handlungen zu bedenken. Sie können anfälliger sein für Gruppendruck, konsumieren Alkohol und verändern ihr Mobilitätsverhalten – beispielsweise sind sie vermehrt in Wochenendnächten unterwegs oder fahren bei Neulenkenden im Auto mit. All dies kann riskantes Verhalten begünstigen und sich negativ auf die Verkehrssicherheit auswirken [1,2].

Die verschiedenen Entwicklungsprozesse variieren individuell jedoch erheblich. Sie sind vor allem vom Zeitpunkt des Einsetzens der Pubertät abhängig, wodurch sie – insbesondere bei den Mädchen – auch deutlich früher als mit 15 Jahren beginnen können. Einige Aspekte der Entwicklung sind auch mit 18 Jahren noch nicht abgeschlossen [1].

Verbreitung

Entwicklungsbedingte Einschränkungen mit Auswirkungen auf eine sichere Verkehrsteilnahme können im Grunde genommen alle Jugendlichen betreffen. Allerdings gibt es individuelle Unterschiede. Zudem kommen diese Einschränkungen bei Weitem nicht in allen Verkehrssituationen zum Tragen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche unvernünftige oder der Sicherheit abträgliche Entscheidungen treffen, scheint vor allem in bestimmten Situationen erhöht zu sein. Dazu gehören emotionale Situationen, die Anwesenheit von Peers, wenn kurzfristige positive Konsequenzen höher gewichtet werden als langfristige negative oder wenn impulsives Verhalten unterdrückt werden muss. Individuelle Unterschiede sind aber möglich [3].

Insgesamt muss vor allem bei männlichen Jugendlichen mit einer risikoreicheren Verkehrsteilnahme gerechnet werden. Sie neigen generell stärker zu solchem Verhalten als weibliche Jugendliche. Im Strassenverkehr sind sie häufiger mit gefährlicheren Fahrzeugen wie Motorrädern unterwegs und zeigen risikoreicheres Verhalten wie riskantere Fahrmanöver, überhöhte Geschwindigkeit und Fahren unter Alkoholeinfluss [1].

Gefährlichkeit

Die erwähnten jugendtypischen Veränderungen können mit einem erhöhten Unfallrisiko einhergehen, vor allem auch, weil sich die verschiedenen Risikofaktoren kumulieren können. Die noch eingeschränkte Impulskontrolle kann z. B. zu mangelnder Voraussicht oder zu vermehrten ablenkenden Nebentätigkeiten im Strassenverkehr führen – z. B. zur Nutzung von Mobiltelefonen.

Eine erhöhte Risikoneigung kann u. a. riskantes Fahrverhalten und Alkoholkonsum begünstigen. Die Anwesenheit von Gleichaltrigen kann dies noch verstärken. Auch das Unterwegssein in Wochenendnächten ist mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden (siehe [1]).

Problematische Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben die entwicklungsbedingten Einschränkungen von Jugendlichen insbesondere in Kombination mit der Nutzung motorisierter Fahrzeuge, welche höhere Geschwindigkeiten ermöglichen und damit ein höheres Unfall- und Verletzungsrisiko bergen. Da Jugendliche zudem noch wenig Erfahrung mit motorisierten Fahrzeugen haben, erhöht sich das Risiko zusätzlich [1].

Wenn Jugendliche als Lenkende von motorisierten Fahrzeugen schwer verunfallen, waren sie am häufigsten mit einem Motorrad unterwegs (80 %). An zweiter Stelle steht das Mofa (12 %), gefolgt vom E-Bike (7 %) und dem E-Trottinett (1 %) (Ø 2019–2023).

Unfallrelevanz

Aus der Verkehrsunfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, wie häufig entwicklungsbedingte Einschränkungen zu einem Unfall geführt haben. Diese Einschränkungen können nicht nur dazu führen, dass Jugendliche Unfälle verursachen, sondern auch dazu, dass sie drohende Gefahren nicht rechtzeitig antizipieren und vermeiden können. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf selbst verursachte Unfälle gelegt. Unter Jugendlichen wird die Altersgruppe der 15- bis 17-Jährigen verstanden.

Geht man davon aus, dass alle schweren Personenschäden von Jugendlichen, die als Lenkende eines motorisierten Fahrzeugs den Unfall selbst verursacht haben, auf entwicklungsbedingte Einschränkungen zurückzuführen sind, entspricht dies 48 % aller schweren Personenschäden von Jugendlichen im Strassenverkehr. 4 von 5 dieser Jugendlichen sind männlich (Ø 2019–2023).

Zählt man die schweren Unfälle hinzu, die Jugendliche zu Fuss oder mit dem Velo aufgrund von Alkohol oder Unaufmerksamkeit und Ablenkung selbst verursachen, macht dies weitere 3 % ihrer schweren Personenschäden aus.

6 % aller schweren Unfälle von Jugendlichen geschehen, wenn sie als Mitfahrende in einem von einer unter 25-jährigen Person gelenkten Auto unterwegs sind.

Gemäss diesen Überlegungen könnten also mehr als die Hälfte aller schweren Personenschäden von Jugendlichen im Strassenverkehr auf entwicklungsbedingte Einschränkungen zurückzuführen sein. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht alle diese Unfälle durch jugendtypische Risikofaktoren verursacht werden.

Quellen

[1] Uhr A, Ewert U, Niemann S et al. Sicherheit von Jugendlichen im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2018. Sicherheitsdossier Nr. 17. DOI:10.13100/bfu.2.336.01.

[2] Konrad K, Firk C, Uhlhaas PJ. Hirnentwicklung in der Adoleszenz: Neurowissenschaftliche Befunde zum Verständnis dieser Entwicklungsphase. Deutsches Ärzteblatt. 2013; 110(25): 425–431. DOI:10.3238/arztebl.2013.0425.

[3] Reyna VF, Farley F. Risk and rationality in adolescent decision making: Implications for theory, practice, and public policy. Psychol Sci. 2006; 7(1): 1–44. DOI:10.1111/j.1529-1006.2006.00026.x.

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