Altersbedingte Einschränkungen als Risikofaktor bei Fussgängerunfällen

Im Alter nehmen kognitive, sensorische und motorische Fähigkeiten ab. Wie sich dies auf das Unfallrisiko von älteren Fussgängerinnen und Fussgängern auswirkt, ist schwer abzuschätzen.

Ausgangslage

Eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit hat gezeigt, dass sensorische, kognitive und motorische  Veränderungen im Alter das Verhalten älterer Fussgängerinnen und Fussgänger im Strassenverkehr, insbesondere beim Überqueren von Strassen, negativ beeinflussen können [2]. 

Sensorische Veränderungen

  • Schwierigkeiten, zwischen Fahrzeugen und der Umgebung zu unterscheiden
  • Unsichere Entscheidungen beim Überqueren von Strassen, wenn sich Fahrzeuge schnell nähern
  • Schwierigkeiten, Fahrzeuge räumlich zu lokalisieren

Kognitive Veränderungen

  • Schwierigkeiten, Verkehr aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig wahrzunehmen
  • Eingeschränkte Fähigkeit, Überquerungsmöglichkeiten («Lücken») zu erkennen, vor allem, wenn keine 
    Lichtsignalanlage vorhanden ist (zeigt sich in längeren Verweilzeiten am Strassenrand)
  • Überschätzung der verfügbaren Zeit zum Überqueren
  • Schwierigkeiten bei der Anpassung der Gehgeschwindigkeit an den Verkehr (Kalibrierung von Verhalten und Wahrnehmung)

Motorische Veränderungen

  • Geringere Aufmerksamkeit auf den Verkehr aufgrund stärkerer Fokussierung auf visuelle Kontrolle beim Gehen
  • Fahrbahnüberquerung an aktueller Position anstatt an einem weiter entfernten Fussgängerstreifen – vor allem bei guten Sichtverhältnissen und geringem Verkehrsaufkommen
  • Längere «Anlaufzeit» beim Überqueren der Strasse mit Ampel

Verbreitung

Relativ häufig sind zum Beispiel Veränderungen der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, der Exekutivfunktionen (z. B. Handlungsplanung) sowie der geteilten und selektiven Aufmerksamkeit. Häufig ist auch eine Verminderung der Kontrastempfindlichkeit. Etwas seltener sind Einschränkungen der Beweglichkeit, der Geschwindigkeits- und Entfernungseinschätzung sowie eine erhöhte Blendempfindlichkeit [3].

Der Anteil der Personen, die von funktionellen Einschränkungen des Seh-, Hör- oder Gehvermögens betroffen sind, nimmt mit dem Alter zu und erreicht bei Personen ab 65 Jahren 25 % [4]. 

Für Fussgängerinnen und Fussgänger dürften die sensorischen Einschränkungen des Hör- und Sehvermögens besonders relevant sein, da sie sich direkt auf die Fähigkeit auswirken, Gefahren im Strassenverkehr wahrzunehmen, sich sicher zu orientieren und angemessen auf die Umwelt zu reagieren.

Die Verbreitung sensorischer Beeinträchtigungen nimmt mit dem Alter zu. Insbesondere Hörbeeinträchtigungen sind im höheren Alter weit verbreitet: Etwa jeder sechste 65- bis 74-Jährige und fast ein Drittel der 75-Jährigen und älteren sind in ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Auch Sehbeeinträchtigungen nehmen mit dem Alter zu, wenn auch weniger stark als Hörbeeinträchtigungen. Die Abnahme der Sehleistung, die aufgrund des fortgeschrittenen Alterungsprozesses nicht mehr korrigierbar ist, ist erst bei Personen ab 75 Jahren deutlich ausgeprägt, von denen 13 % sehbeeinträchtigt sind. Frauen sind dabei stärker betroffen als Männer. Mit einer Prävalenz von 4 % sind doppelte sensorische Beeinträchtigungen (sowohl beim Hören als auch beim Sehen) bei Personen ab 75 Jahren häufiger [5].

Gefährlichkeit

Über den Einfluss altersbedingter, funktioneller Einschränkungen und des daraus resultierenden Verhaltens von Fussgängerinnen und Fussgängern auf das Unfallrisiko (siehe Hinweis 1) liegen derzeit keine Studien vor.

Eine Studie hat gezeigt, dass das Risiko, als Fussgängerin oder Fussgänger selbst für einen Unfall mit einem Personenwagen verantwortlich zu sein, bei Sehbeeinträchtigungen um 87 % (OR = 1,87) und bei Hörbeeinträchtigungen um 72 % (OR = 1,72) erhöht ist [6]. Zu beachten ist, dass in dieser Studie nicht nur ältere, sondern auch jüngere Fussgängerinnen und Fussgänger mit sensorischen Beeinträchtigungen berücksichtigt wurden. Offen bleibt zudem die Frage nach dem generellen Unfallrisiko, d. h., wie häufig altersbedingte Einschränkungen tatsächlich zu einem Unfall führen.

Die Annahme, dass altersbedingte Einschränkungen zur überproportional hohen Beteiligung älterer Fussgängerinnen und Fussgänger an schweren Fussgängerunfällen beitragen, erscheint plausibel. Dabei sind jedoch zwei Aspekte zu berücksichtigen: Erstens verletzen sich ältere Fussgängerinnen und Fussgänger aufgrund ihrer höheren Verletzlichkeit ((Link zur Seite Alle Risikofaktor Verletzlichkeit)) tendenziell schwerer.

Zweitens gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass ältere Fussgängerinnen und Fussgänger weniger Risiken eingehen, die Strasse seltener in gefährlichen Situationen überqueren und sich häufiger sicher verhalten als jüngere. Es ist also möglich, dass ältere Fussgängerinnen und Fussgänger ihre Einschränkungen durch besonders vorsichtiges Verhalten kompensieren.

Unfallrelevanz

Altersbedingte Einschränkungen als Unfallursache sind in den Schweizer Unfalldaten nur unzureichend erfasst. Im polizeilichen Unfallaufnahmeprotokoll können als Unfallursachen «Schwächezustand», «Verminderte Sehkraft», «Körperliche und geistige Krankheiten» und «Anderer Einflussfaktor aus medizinischer Sicht» angegeben werden.

In den letzten fünf Jahren (2019–2023) wurde bei fünf schwer verletzten und sechs getöteten Fussgängerinnen und Fussgängern eine dieser Ursachen angegeben. Sieben dieser Personen waren 75 Jahre alt oder älter. Der Anteil dieser Ursachen liegt bei vier Promille aller schweren Personenschäden bei Fussgängerinnen und Fussgängern und scheint damit im Unfallgeschehen keine Rolle zu spielen. Einschränkend ist anzumerken, dass es für die Polizei am Unfallort kaum möglich ist, altersbedingte Einschränkungen als Unfallursache zu erkennen.

Eine häufige Ursache für Fussgängerunfälle, die von den Fussgängerinnen und Fussgängern verursacht wurden, ist das unvorsichtige Queren der Fahrbahn. Diese Hauptursache ist mit einem Anteil von deutlich über 50 % bei Personen ab 75 Jahren überproportional vertreten und könnte ein indirekter Hinweis auf altersbedingte Einschränkungen sein.

Hinweise

  1. Beim Unfallrisiko handelt es sich genau genommen um eine «Verhältniswahrscheinlichkeit», d. h. um die Wahrscheinlichkeit, mit dem ein Ereignis (z. B. ein Unfall) bei einer Gruppe (z. B. Fussgängerinnen und Fussgänger mit altersbedingten Einschränkungen) im Vergleich zu einer Vergleichsgruppe auftritt, die diesen Bedingungen nicht ausgesetzt ist (d. h. Fussgängerinnen und Fussgängern ohne altersbedingte Einschränkungen). Diese «Verhältniswahrscheinlichkeit» wird auch als «Odds Ratio», abgekürzt OR, bezeichnet. Ein Wert über 1 zeigt an, dass die Exposition mit einem erhöhten Risiko oder einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ereignisses verbunden ist. 

Quellen

[1] Ewert U. Senioren als Fussgänger. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. bfu-Faktenblatt Nr. 08.

[2] Tournier I, Dommes A, Cavallo V. Review of safety and mobility issues among older pedestrians. Accid Anal Prev. 2016; 91: 24–35. DOI:10.1016/j.aap.2016.02.031.

[3] Uhr A, Ewert U, Scaramuzza G et al. Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2016. Sicherheitsdossier Nr. 14. DOI:10.13100/bfu.2.271.01.

[4] Storni M, Lieberherr R, Kaeser M, Schneider S. Schweizerische Gesundheitsbefragung 2022: Übersicht. Neuenburg: Bundesamt für Statistik BFS; 2023. 14 Gesundheit 213-2201.

[5] Höglinger D, Guggisberg, J., Jäggi, J. Hör-und Sehbeeinträchtigungen in der Schweiz. Korrigierte Version vom 20.07.2022. Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium Obsan; 2022 01/2022. https://www.blind.ch/dokumente/upload/obsan_01_2022_bericht.pdf.

[6] Jiménez-Mejías E, Martínez-Ruiz V, Amezcua-Prieto C et al. Pedestrian- and driver-related factors associated with the risk of causing collisions involving pedestrians in Spain. Accid Anal Prev. 2016; 92: 211–218. DOI:10.1016/j.aap.2016.03.021.

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