Einleitung
Mit Sanktionen respektive deren Androhung sollen Verkehrsregelverstösse verhindert werden. Die Sanktionen für Verstösse gegen die rechtlichen Vorgaben im Strassenverkehr hängen von der Schwere des jeweiligen Verstosses ab. Sie werden in Ordnungsbussen, Administrativmassnahmen (z. B. Führerausweisentzug) und Strafen (Bussen, Geld- oder Freiheitsstrafen) unterteilt. Die grösste Relevanz für die Strassenverkehrssicherheit haben Verstösse im Bereich Geschwindigkeit, Substanzen (Alkohol, Drogen und Medikamente) sowie Ablenkung.
Aktuelle Situation
In der Schweiz ist die Sanktionierung auf Bundesebene im Strassenverkehrsgesetz [1], im Ordnungsbussengesetz [2], im Strafgesetzbuch [3] sowie in verschiedenen Verordnungen (z. B. VTS [4] und VRV [5]) geregelt.
Die Ordnungsbussen sind schweizweit einheitlich mit einer Obergrenze von CHF 300.– geregelt (Art. 1 Abs. 4 OBG [2]). Bezüglich Administrativmassnahmen und Strafen räumen die Rechtsgrundlagen auf Bundesebene den Vollzugsbehörden bzw. Gerichten meist einen gewissen Handlungsspielraum bei der Vergabe der Sanktionshöhe ein, indem darin z. B. nur die Mindestdauer von Freiheitsstrafen oder Führerausweisentzügen festgelegt wird. Für die Vollstreckung dieser Sanktionen sind die kantonalen Behörden verantwortlich.
Am 1. Januar 2005 wurde im Rahmen einer Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes das Kaskadensystem als gestuftes Sanktionsmodell eingeführt [6]. Dies mit dem Ziel, vor allem Wiederholungstäter wirksam zu sanktionieren und dadurch einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zu leisten. Damit konnte eine klare rechtliche Eskalation der Massnahmen gewährleistet werden – also eine Sanktionierung abhängig von Anzahl, Häufigkeit und Schwere früherer Verstösse.
Die in der Schweiz geltenden Sanktionen werden in der Bevölkerung als hart empfunden: In einer im Jahr 2018 durchgeführten Befragung in 20 europäischen Ländern wurden verschiedene Fragen zur empfundenen Härte der Sanktionen bei Alkohol- und Geschwindigkeitsdelikten sowie zur Handynutzung am Steuer gestellt. Dabei erhielten die Fragen, ob die Verkehrsregeln und Sanktionen in den drei Themenbereichen strenger sein sollten, im Vergleich mit anderen Ländern wenig Zustimmung, während die gegenteiligen Fragen, ob die Regeln und Sanktionen als zu hart empfunden werden, vergleichsweise viel Zustimmung fanden [7].
Präventionsnutzen
Sanktionen dienen einerseits dem Zweck, alle Strassenverkehrsteilnehmenden durch die Androhung der Sanktion von vornherein davon abzuhalten, einen Verstoss überhaupt zu begehen (Generalprävention). Andererseits sollen sie Delinquenten von einer Wiederholung des Verstosses abhalten (Spezialprävention) [8].
Der Fokus auf eine Hochrisikogruppe mit extremen Delikten (z. B. Rasertatbestand) ist zwar aus gesellschaftlicher Sicht nachvollziehbar, darf aber in seiner Wirkung auf die allgemeine Verkehrssicherheit nicht überschätzt werden. Die generalpräventiven Effekte sind aufgrund ihrer Breitenwirkung für die Prävention wichtiger als die spezialpräventiven Effekte [9,10].
Viele Studien bestätigen den positiven Effekt einer ausgewogenen Kombination von Überwachung (Polizeikontrollen) und Sanktionen auf die Verkehrssicherheit [8,10–12]. Dabei sollte die Sanktion der Schwere des Verstosses entsprechen und so hoch sein, dass sie unerwünschtes Verhalten verhindert [8].
Die Evidenz zeigt, dass sich in den Bereichen Geschwindigkeit und Sicherheitsgurt eine Erhöhung der Sanktionen (Ordnungsbussen) positiv auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden auswirken kann [8]. Beim Fahren unter Alkoholeinfluss ist dieser Effekt weniger eindeutig. Dies wird allerdings unter anderem mit einer zu tiefen subjektiven Entdeckungswahrscheinlichkeit erklärt, also dass die Lenkenden nicht erwarten, kontrolliert zu werden [8]. Neben der Höhe der Sanktion spielen auch die Gewissheit, tatsächlich sanktioniert zu werden sowie die Geschwindigkeit des Sanktionsvollzugs eine Rolle [8]. Nicht zuletzt muss die Sanktion oder deren Verschärfung in der Bevölkerung bzw. bei potenziellen Delinquenten bekannt sein, um einen präventiven Nutzen zu entfalten [12].
In Bezug auf verschiedene Arten der Sanktionierung belegen Untersuchungen, dass der (befristete) Entzug des Führerausweises eine wirksame Sanktionierung im Strassenverkehr ist [9]. Die Unfall- und Deliktrate bzw. die Rückfallwahrscheinlichkeit lassen sich damit deutlich besser reduzieren als mit anderen Sanktionierungsmassnahmen (z. B. Warnbriefe, Gruppen- oder Einzelmeetings, Bewährung, Punktabzüge) [13–15]. Die Wirksamkeit von Freiheitsstrafen (ohne weitere rehabilitative Massnahmen) hingegen ist beschränkt [9].
Optimierungspotential
Die geltenden Sanktionen sind grundsätzlich im Sinne der Prävention, gerade weil sie von der Bevölkerung als hart empfunden werden. Im Rahmen der regelmässigen Revisionen der Gesetze und Verordnungen gilt es sicherzustellen, dass keine Abschwächungen vorgenommen werden und die Neuerungen nicht sicherheitsabträglich sind. Auch wenn kein grosser Anpassungsbedarf besteht, existieren punktuelle Optimierungsmöglichkeiten.
Eine Erhöhung der Ordnungsbussen könnte einen gewissen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leisten. Konkret sollte aufgrund des stark erhöhten Unfallrisikos beziehungsweise der hohen Fremdgefährdung das Telefonieren mit dem Handy in der Hand deutlich stärker gebüsst werden. Heute droht den Lenkenden von Motorfahrzeugen eine Ordnungsbusse von CHF 100.– bei der Nutzung eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung am Steuer (Anhang 1 OBV [16]). Eine deutliche Erhöhung, zum Beispiel auf CHF 300.– (Obergrenze für Ordnungsbussen), wäre hier aus Präventionssicht gerechtfertigt.
Mit der Einführung des Kaskadensystems im Jahr 2005 wurde bereits ein Meilenstein in der Strassenverkehrsunfallprävention gesetzt. Aufgrund des Ermessenspielraums ist die Praxis der kantonalen Behörden hinsichtlich der Mindestentzugsdauer bei Führerausweisentzügen nicht einheitlich. Eine Harmonisierung zwischen den Kantonen unter konsequenter Ausschöpfung der bestehenden Spielräume würde die Präventionseffekte stärken.
Auch die Höhe der Bussen für Übertretungen und die Anzahl Tagessätze bei den Geldstrafen ist in der Schweiz nicht für alle Delikte einheitlich geregelt. Eine Vereinheitlichung könnte beispielsweise durch eine Erweiterung der Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwaltschaftskonferenz (SSK) erwirkt werden. Aus präventiver Sicht ist es zudem entscheidend, dass solche Empfehlungen auch öffentlich kommuniziert werden, damit sie ihre generalpräventive Wirkung entfalten können.
Fazit
Sanktionen wirken sich positiv auf die Verkehrssicherheit aus, wobei jedoch das Sanktionsrisiko, d. h. die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, die wichtigere Einflussgrösse auf das Verhalten darstellt als die Höhe der Sanktion (siehe dazu auch das Kapitel Polizeikontrollen ((Link))).
Die bestehenden Sanktionen werden von der Bevölkerung mehrheitlich als hart empfunden, was darauf hindeutet, dass das Präventionspotenzial von Sanktionen weitgehend ausgeschöpft sein dürfte. Dennoch besteht ein gewisser Optimierungsbedarf, vor allem in der harmonisierten Regelung bei Führerausweisentzügen und bei den strafrechtlichen Sanktionen.
Quellen
[1] Schweizerische Eidgenossenschaft. Strassenverkehrsgesetz (SVG) vom 19. Dezember 1958. Stand 2020.: SR 741.01.
[2] Schweizerische Eidgenossenschaft. Ordnungsbussengesetz (OBG) vom 18. März 2016: OBG: SR 314.1.
[3] Schweizerische Eidgenossenschaft. Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB) vom 21. Dezember 1937: StGB: SR 311.0.
[4] Schweizerische Eidgenossenschaft. Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS) vom 19. Juni 1995: VTS: SR 741.41.
[5] Schweizerische Eidgenossenschaft. Verkehrsregelnverordnung (VRV) vom 13. November 1962: SR 741.11.
[6] Bundesamt für Strassen ASTRA. Via sicura: Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr. Bern; 2005.
[7] Goldenbeld C, Buttler I. Enforcement and traffic violations: ESRA2 Thematic report Nr. 6 ESRA project (E-Survey of Road Users’ Attitudes). The Hague, NL: Institute for Road Safety Research SWOV; 2020.
[8] Institute for Road Safety Research SWOV. Penalties in traffic. The Hague, NL: SWOV; 2013. SWOV Fact sheet.
[9] Walter E, Achermann Stürmer Y, Ewert U et al. Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. Sicherheitsdossier Nr. 13.
[10] Hertach P, Achermann Stürmer Y. Substanzkontrollen bei Motorfahrzeuglenkenden: Empfehlungen aus Präventionssicht. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2021. DOI:10.13100/BFU.2.402.01.2021.
[11] Hautzinger H, Manssen G, Schlag B et al. Regelverstösse im Strassenverkehr: Häufigkeit – Schadenfolgen – Sanktionierung – Prävention. Berlin: Unfallforschung der Versicherer UDV; 2011. Forschungsbericht GDV VV 05.
[12] Siegrist S. Sanktionen zur Bekämpfung der Verkehrsdelinquenz: Welche Rolle spielen sie und welche sind wirksam?: Sonderdruck. In: Schaffhauser R, Hg. Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2008. St. Gallen: Universität St. Gallen; 2008: 45-70. Schriftenreihe des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis Band 56.
[13] Masten SV, Peck RC. Problem driver remediation: A meta-analysis of the driver improvement literatur. J Safety Res. 2004; 35(4): 403-425. DOI:10.1016/j.jsr.2004.06.002.
[14] Mann RE, Vingilis ER, Gavin D et al. Sentence severity and the drinking driver: Relationships with traffic safety outcome. Accid Anal Prev. 1991; 23(6): 483-491. DOI:10.1016/0001-4575(91)90014-V.
[15] McKnight AJ, Voas RB. The effect of license suspension upon DWI recidivism. Alcohol Drugs Driving. 1991; 7(1): 43–54.
[16] Schweizerische Eidgenossenschaft. Ordnungsbussenverordnung (OVB) vom 16. Januar 2019: SR 314.11.