Einleitung
Verhaltensvorschriften sind für einen geordneten Ablauf des Strassenverkehrs unabdingbar und spielen auch für die Verkehrssicherheit eine zentrale Rolle. Sie geben klare Anweisungen, wie sich die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer in verschiedenen Situationen verhalten sollen. So können Gefahren- und Konfliktsituationen minimiert werden.
Bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren, die häufig als Neulenkende unterwegs sind und oft durch Unerfahrenheit wie auch eine erhöhte Risikofreudigkeit geprägt sind, tragen strikte Regeln wesentlich zur Unfallprävention bei. Personen in dieser Altersgruppe sind überproportional in schweren Unfällen mit Personenwagen und Motorrädern verwickelt und fahren vergleichsweise häufiger mit überhöhter Geschwindigkeit, abgelenkt oder übermüdet.
Aktuelle Situation
Das Strassenverkehrsgesetz schreibt im Art. 26 SVG [1] vor, dass sich alle Verkehrsteilnehmenden stets so verhalten müssen, dass sie andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse nicht behindern oder gefährden. Sie müssen sich vorausschauend und rücksichtsvoll verhalten.
Neben dieser allgemeinen Verhaltensvorschrift gibt es weitere Bestimmungen, um riskantes Verhalten zu vermeiden. Im Hinblick auf die häufigsten Risikofaktoren und Unfallursachen bei schweren Verkehrsunfällen der jungen Erwachsenen sind insbesondere folgende Verhaltensvorschriften relevant:
Psychoaktive Substanzen
Ab einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l (entspricht einer Blutakoholkonzentration von 0,5 Promille) darf kein Fahrzeug geführt werden (Art. 31 Abs. 2 SVG) [1] (siehe Hinweis 1). Für Neulenkende mit einem Lernfahrausweis oder Führerausweis auf Probe – was auf die Mehrheit der 18- bis 24-Jährigen zutrifft, die ein Personenwagen führen –gilt ein faktisches Alkoholverbot (Art. 31 Abs. 2bis SVG) [1]. Auch für das Fahren unter dem Einfluss bestimmter Drogen wie THC oder Kokain besteht eine Nulltoleranz (siehe Hinweis 2). Für andere illegale Drogen und Medikamente gibt es keine festen Grenzwerte. Eine allfällige Fahrunfähigkeit wird im Einzelfall individuell geprüft. Grundlage der Beurteilung bildet das Drei-Säulen-Prinzip: Feststellungen der Polizei, ärztliche Befunde sowie Ergebnisse forensisch-toxikologischer Untersuchungen.
Müdigkeit
Wer wegen Übermüdung fahrunfähig ist, darf kein Fahrzeug führen (Art. 31 Abs. 2 SVG, Art. 2 Abs. 1 VRV) [1,2]. Es gehört zu den Sorgfaltspflichten der Fahrzeugführenden, ihre Fahrfähigkeit zu überwachen und bei Müdigkeit die Fahrt zu unterbrechen.
Ablenkung
Alle Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker müssen ihre Aufmerksamkeit stets auf die Strasse und den Verkehr richten. Sie dürfen beim Fahren nichts tun, was die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Die Aufmerksamkeit darf nicht durch Kommunikationsgeräte etc. beeinträchtigt werden. Das Telefonieren ohne Freisprechanlage ist ausdrücklich verboten (Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV) [1,2]. Nicht alle Ablenkungsarten sind explizit im Gesetz definiert (z. B. Handynutzung von Fussgängerinnen und Fussgängern oder Musikhören bei Velofahrenden). Sie können aber dennoch zu Sanktionen führen, wenn deshalb gegen Verkehrsregeln verstossen wird oder andere Verkehrsteilnehmende gefährdet werden (vgl. Art. 3 Abs. 3 VRV, Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV, Art. 26 und Art. 49 SVG) [1,2].
Geschwindigkeit
Alle Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker müssen ihre Geschwindigkeit stets den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anpassen (Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4 Abs. 1 VRV) [1,2]. Die geltenden Höchstgeschwindigkeiten sind einzuhalten. Für Lenkende von konventionellen Velos gelten die allgemeinen und signalisierten Höchstgeschwindigkeiten zwar nicht. Aber auch sie müssen die Geschwindigkeit den Umständen anpassen und ihr Velo jederzeit beherrschen können.
Beim Motorradfahren
besteht lediglich eine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms (Art. 3b Abs. 1 VRV) [2]. Weitere Schutzkleidung wie Jacke, Hose, Handschuhe oder geeignete Schuhe ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Fehlen einer gesetzlichen Vorschrift entbindet jedoch nicht von der Pflicht zur Eigenverantwortung. Wer auf angemessene Schutzausrüstung verzichtet riskiert im Falle eines Unfalls auch eine Kürzung der Leistungen durch die Unfallversicherung.
Präventionsnutzen
Gesetzliche Verhaltensvorschriften spielen für die Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle. Sie betreffen alle Verkehrsteilnehmenden und tragen wesentlich dazu bei, Konflikt- und Gefahrensituationen im Strassenverkehr zu vermeiden.
Der hohe Nutzen ergibt sich auch daraus, dass der Gesetzgeber bei den Hauptunfallursachen ansetzt und soweit möglich konkrete Vorgaben macht. Damit Verhaltensvorschriften ihren präventiven Nutzen entfalten und tatsächlich befolgt werden, bedarf es aber auch eines konsequenten Vollzugs und einer gewissen Sanktionsandrohung (siehe Hinweis 3), gegebenenfalls auch begleitender Sensibilisierungsmassnahmen.
Die Wirksamkeit solcher Vorschriften ist durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt: So konnte z. B. gezeigt werden, dass Alkoholgrenzwerte in Kombination mit öffentlicher Sensibilisierung und verstärkten Kontrollen, die Zahl der alkoholbedingten Verkehrsunfälle von Motorfahrzeuglenkenden signifikant reduzieren [3,4]. Ebenfalls wurde nachgewiesen, dass ein Alkoholverbot für Neulenkende eine wirksame Massnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit darstellt. Es führt zu einer Reduktion alkoholbedingter Unfälle bei jungen Erwachsenen und zeigt positive Effekte, die auch nach Ablauf der Geltungsdauer für die betroffenen Personen anhalten [5]. Geschwindigkeitsbegrenzungen mit ausreichender Durchsetzung und begleitender Öffentlichkeitsarbeit tragen ebenfalls wesentlich zur Reduktion von Unfällen und Verletzungen bei [3]. Die genaue Wirksamkeit ist jedoch schwer zu quantifizieren, da es oft an geeigneten Kontrollgruppen mangelt und die Wirksamkeit von Vorschriften auch von der Umsetzung wie Kontrollen und Sensibilisierung abhängt.
Optimierungspotential
Die oben aufgeführten Verhaltensvorschriften – mit besonderem Fokus auf junge Erwachsene- haben sich in der Schweiz bewährt und sind grundsätzlich im Sinne der Prävention. Im Rahmen der regelmässigen Revisionen der Gesetze und Verordnungen gilt es zumindest sicherzustellen, dass keine Abschwächungen vorgenommen werden und die Neuerungen nicht sicherheitsabträglich sind. Auch wenn kein grosser Anpassungsbedarf besteht, lassen sich aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern folgende, punktuelle Optimierungsmöglichkeiten ableiten.
Müdigkeit
Die Vorgaben zur Vermeidung von Müdigkeit sind naturgemäss sehr allgemein gehalten, was einen grossen Ermessensspielraum eröffnet und einen einheitlichen Vollzug erschwert, zumal Müdigkeit als Unfallursache schwer zu erkennen ist. Längerfristig könnte das Gesetz insofern verschärft werden, als die Beachtung von fahrzeugtechnischen Warnhinweisen bei übermüdetem Fahren für Lenkende von Motorfahrzeugen vorgeschrieben wird. Hierzu müsste jedoch zunächst eine sehr hohe und einheitliche Zuverlässigkeit der Warnungen sichergestellt werden.
Ablenkung
Ein grundsätzliches Verbot des Telefonierens mit Freisprechanlage, beispielweise auf Lernfahrten und während der Probephase könnte zwar einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Der Effekt dürfte aber nur geringfügig und der Vollzug schwierig sein [4].
Persönliche Schutzausrüstung beim Motorradfahren
Ein Obligatorium, wie es in einzelnen Ländern wie Frankreich und Belgien bereits besteht, kann dazu beitragen, die Tragquote von Schutzausrüstung deutlich zu erhöhen. Ein solches Obligatorium müsste sich auf qualitativ hochwertige Schutzprodukte beziehen, allenfalls mit gewissen Abstrichen für Rollerfahrende. Gleichzeitig wäre ein praxistauglicher Vollzug erforderlich.
Fazit
Die Verhaltensvorschriften können grundsätzlich als zweckmässig und wirksam bezeichnet werden. Allerdings werden nicht alle Vorschriften gleich gut befolgt. Die jeweilige Wirksamkeit hängt von weiteren Faktoren ab, insbesondere von der Vollzugsmöglichkeit und der Höhe der angedrohten Sanktionen, aber auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz der Regeln. Um die Verkehrssicherheit junger Erwachsener auf Motorrädern zu erhöhen, könnte die obligatorische Verwendung bestimmter Schutzausrüstungen erwogen werden.
Hinweise
- Die konkreten Grenzwerte sind in Art. 1 der Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr geregelt [6].
- Der Begriff ist allerdings etwas missverständlich, da der Grenzwert nicht bei null liegt, sondern darüber (bei THC bei 1,5 μg/l, bei den anderen in der VRV aufgelisteten Drogen wie Kokain bei 15 µg/L (Art. 34 VSKV-ASTRA) [7].
- Die Themen Polizeikontrollen und Sanktionierung werden auf separaten Seiten abgehandelt
Quellen
[1] Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01).v
[2] Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11).
[3] Bevan Kirley, Kristel Robison, Arthur Goodwin et al. Countermeasures That Work: A Highway Safety Countermeasure Guide for State Highway Safety Offices. 11th Edition: National Highway Traffic Safety Administration NHTSA; 2023.
[4] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[5] Strassgütl L, Evers C. Long-term effects of the German zero tolerance law for novice drivers. J Safety Res. 2022; 80: 46–53. DOI:10.1016/j.jsr.2021.11.003.
[6] Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr vom 15. Juni 2012 (SR 741.13).
[7] Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung vom 22. Mai 2008 (VSKV-ASTRA, SR 741.013.1).