Einleitung
Die Verkehrssicherheit von Kindern kann durch Bildungs- und Schulungsmassnahmen sowohl für die Kinder selbst als auch für ihre häufigen Unfallgegner – die Fahrzeuglenkenden – erhöht werden. Verkehrsbildung vermittelt Kindern zwar die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ihr sind jedoch Grenzen gesetzt, da Kinder aufgrund ihres Entwicklungsstandes die Gefahren des Strassenverkehrs noch nicht vollständig einschätzen und sich nicht immer adäquat verhalten können [1]. Die Hauptverantwortung liegt daher bei den Erwachsenen, die sich im Strassenverkehr besonders umsichtig verhalten müssen.
Institutionalisierte Verkehrsbildung für Kinder
Aktuelle Situation
In der Schweiz wird die institutionalisierte Verkehrsbildung vor allem auf kantonaler und kommunaler Ebene organisiert und von Verkehrsinstruktorinnen und Verkehrsinstruktoren (VI) der Polizei durchgeführt. Kinder im Kindergarten und in der Primarschule werden durchschnittlich ein- bis gelegentlich zweimal pro Jahr unterrichtet. In der Oberstufe ist die Verkehrsinstruktion deutlich weniger verbreitet [2], obwohl sich in dieser Altersgruppe die meisten Velounfälle ereignen [1].
Inhalt und Gestaltung der Verkehrsinstruktion sind in den Kantonen und Gemeinden sehr unterschiedlich. Fussgänger- und Veloschulungen sind zwar Teil des Programms, doch gibt es Unterschiede in Umfang, Zeitpunkt und Methodik, z. B. bei den praktischen Übungen. Eine Veloprüfung findet vielerorts, aber nicht überall statt [2,3].
Präventionsnutzen
Verkehrsbildung ist wichtig, um Kindern sicheres Verhalten im Strassenverkehr zu vermitteln. Studien zeigen jedoch, dass solche Programme oft nur geringe oder kurzfristige Verbesserungen im Wissen und Verhalten der Kinder bewirken; manchmal bleibt die Wirkung sogar ganz aus [4,5].
Am effektivsten ist praktisches Training in realen Verkehrssituationen, insbesondere in Kleingruppen oder individualisiert [4,6]. Da die Wirkung mit der Zeit nachlässt, sind regelmässige Wiederholungen notwendig [1], was im Rahmen der institutionalisierten Verkehrsinstruktion aus Ressourcengründen nicht in ausreichendem Masse geleistet werden kann. Zudem halten sich Kinder nicht immer zuverlässig an das Gelernte, insbesondere, wenn sie abgelenkt sind. Insgesamt ist Verkehrsbildung aber notwendig, auch wenn sie allein nicht ausreicht, um dauerhaft sicheres Verhalten zu gewährleisten.
Optimierungspotenzial
Die institutionalisierte Verkehrsbildung in der Schweiz weist Stärken und Schwächen auf. Positiv ist, dass sie Elemente für alle Altersstufen enthält. Vor allem für die Oberstufe sind jedoch mehr Schulungsangebote nötig, um den vermehrten Velounfällen in dieser Altersgruppe zu begegnen.
Eine stärkere Harmonisierung der Verkehrsinstruktion in der Schweiz wäre wünschenswert, wobei dennoch auf regionale Besonderheiten Rücksicht genommen werden sollte. Mit dem Kompetenzkatalog der Verkehrsbildung [7] liegt ein gesamtschweizerischer, didaktischer Orientierungsrahmen vor, der zu einer Harmonisierung beitragen kann.
Eine stärkere Gewichtung der praktischen Übungen im Realverkehr wäre sinnvoll. Auf der Primarstufe ist zudem eine flächendeckende Veloausbildung mit Veloprüfung anzustreben. Eine stärkere Einbindung von Eltern und Lehrkräften in die Verkehrserziehung wäre wünschenswert. Die Umsetzung dieser Massnahmen bedingt jedoch die Bereitstellung ausreichender personeller und finanzieller Ressourcen.
Verkehrserziehung durch Eltern
Aktuelle Situation
Eltern und Betreuungspersonen spielen eine zentrale Rolle, da sie die ersten Personen sind, die den Kindern das Verkehrsverhalten beibringen und als Vorbilder fungieren. Viele Eltern schöpfen dieses Potenzial jedoch nicht optimal aus, da sie sich dieser Aufgabe teilweise nicht oder zu wenig bewusst sind [8,9] und das verkehrssichere Verhalten ihrer Kinder häufig überschätzen [10,11].
Eltern und Betreuungspersonen sollten daher durch edukative Massnahmen motiviert und befähigt werden, ihre Rolle in der Verkehrserziehung wahrzunehmen. In der Praxis stehen sie jedoch eher selten im Fokus verkehrsbildnerischer Interventionen [10].
Präventionsnutzen
Die Wirkung von Verkehrserziehungsmassnahmen kann durch die Einbeziehung der Eltern verstärkt werden [10,11]. Allerdings erzielen nicht alle Programme die gewünschte Wirkung. Wirksam scheinen vor allem Programme zu sein, die Eltern praxisnah im Unterrichten ihrer Kinder schulen und auf verhaltenstheoretischen Ansätzen basieren [12].
Allerdings ist auch bei der elterlichen Verkehrserziehung zu beachten, dass sie ihre Grenzen hat und Kinder entwicklungsbedingt nicht immer in der Lage sind, das erlernte Verhalten zuverlässig umzusetzen.
Optimierungspotenzial
Eltern sollten stärker in den Fokus von Präventionsmassnahmen gerückt werden. Sensibilisierungsmaterialien mit praktischen Tipps und Elternschulungen, z. B. Informationsabende vor der Einschulung oder thematische Elternabende, können dazu beitragen, dass Eltern ihre Kinder im Verkehr besser unterstützen.
Gerade bei schwer erreichbaren Zielgruppen wäre zudem eine aufsuchende Präventionsarbeit optimal [13,14]. Dabei gilt es, die Besonderheiten der Zielgruppe (z. B. hinsichtlich Bildung, Sprachkenntnissen, soziokulturellem Hintergrund) zu berücksichtigen und die Zielgruppen in die Entwicklung der Massnahmen einzubeziehen [13].
Ausbildung von Motorfahrzeuglenkenden
Aktuelle Situation
Die Ausbildung der Motorfahrzeuglenkenden in der Schweiz thematisiert die besondere Vorsichtspflicht gegenüber Kindern im Strassenverkehr. Im Rahmen der Fahrausbildung wird der sogenannte Misstrauensgrundsatz vermittelt, der unter anderem verlangt, dass gegenüber Kindern besondere Vorsicht geboten ist. Die Lernenden sollen erkennen, dass Kinder unvorhersehbar reagieren können und sich entsprechend verhalten.
Präventionsnutzen
Die Ausbildung von Motorfahrzeuglenkenden ist eine wichtige Massnahme, damit sie sich in Anwesenheit von Kindern besonders rücksichtsvoll verhalten und deren mögliches Fehlverhalten kompensieren. Spezifische Wirkungsnachweise dazu fehlen jedoch, und es ist unklar, ob das in der Fahrausbildung erworbene Wissen im Strassenverkehr ausreichend umgesetzt wird.
Optimierungspotenzial
Es ist wichtig, darauf hinzuwirken, dass die Fahrschülerinnen und Fahrschüler das theoretisch erworbene Wissen über das Verhalten im Umgang mit Kindern in den realen Strassenverkehr übertragen. Dies kann einerseits über die Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer gefördert werden.
Sinnvoll wären andererseits auch virtuelle Trainings zur Gefahrenwahrnehmung und -vorhersage. Sie können beispielsweise helfen, kritische Situationen mit Kindern schnell und präzise zu erkennen und die Schwierigkeit einer rechtzeitigen Reaktion zu verstehen. Solche Übungen, kombiniert mit Diskussionen mit dem Fahrlehrer oder der Instruktorin, fördern die Entwicklung kognitiver Schemata und unterstützen den Transfer in den realen Verkehr.
Es wäre wichtig, dass solche Aufgaben zur Gefahrenwahrnehmung auch geprüft werden, beispielsweise im Rahmen der Theorieprüfung. Studien zeigen, dass solche Trainings und Tests die Reaktionszeit der Fahrerinnen und Fahrer bei der Gefahrenerkennung und die Fähigkeit, Gefahren vorherzusehen, verbessern und das Potenzial haben, das Unfallrisiko zu senken [15,16].
Fazit
Die Verkehrsbildung von Kindern und die Fahrausbildung von Motorfahrzeuglenkenden sind wichtige Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit von Kindern. In beiden Bereichen gibt es noch Verbesserungspotenzial.
Da die Fähigkeiten von Kindern entwicklungsbedingt nicht beliebig trainierbar sind und sie sich nicht immer sicher verhalten können, kommt den Erwachsenen eine grosse Verantwortung zu. Motorfahrzeuglenkende können viele Unfälle verhindern, wenn sie das Gelernte im Strassenverkehr konsequent umsetzen.
Quellen
[1] Uhr A, Allenbach R, Ewert U et al. Sicherheit von Kindern im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2017. Sicherheitsdossier Nr. 16. DOI:10.13100/bfu.2.280.01.
[2] Baehler D, Badan S. Die Verkehrsinstruktion in in der Schweiz – Fokus Velo. Bern; 2022. Materialien Langsamverkehr Nr. 158.
[3] Scherer C. Umfrage 2012 bei Chefs der Verkehrserziehungsabteilungen: Verkehrserziehung an obligatorischen und nachobligatorischen Schulen. Bern: bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. bfu-Meinungsumfrage.
[4] Dragutinovic N, Twisk DAM. The effectiveness of road safety education: A literatur review. Leidschendam, NL: Institute for Road Safety Research SWOV; 2006 R-2006-6.
[5] Richmond SA, Zhang YJ, Stover A et al. Prevention of bicycle-related injuries in children and youth: a systematic review of bicycle skills training interventions. Inj Prev. 2013; 20(3): 191–195. DOI:10.1136/injuryprev-2013-040933.
[6] Schwebel DC, Barton BK, Shen J et al. Systematic review and meta-analysis of behavioral interventions to improve child pedestrian safety. J Pediatr Psychol. 2014; 39(8): 826–845
[7] Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU. Kompetenzkatalog Verkehrsbildung; o.J. https://www.bfu.ch/de/kompetenzkatalog-verkehrsbildung. 28.08.2024.
[8] Morrongiello BA, Barton BK. Child pedestrian safety: Parental supervision, modeling behaviors, and beliefs about child pedestrian competence. Accid Anal Prev. 2009; 41(5): 1040–1046.
[9] Zeedyk MS, Kelly L. Behavioural observations of adult–child pairs at pedestrian crossings. Accid Anal Prev. 2003; 35(5): 771–776.
[10] ROSE 25. Inventory and compiling of a European Good Practice Guide on Road safety education targeted at young people. Booklet Good Practice Guide on Road Safety Education. Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV, Hg; 2005.
[11] Rivara FP, Booth CL, Bergman AB et al. Prevention of pedestrian injuries to children: effectiveness of a school training program. Pediatrics. 1991; 88(4): 770–775.
[12] O’Toole SE, Christie N. Educating parents to support children’s road safety: a review of the literature. Transp Rev. 2019; 39(3): 392–406.
[13] Walter E, Achermann Stürmer Y, Schürch B. Sensibilisierung der Eltern von Rad fahrenden Kindern: Instrument zur Qualitätsentwicklung von Projekten. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2013. bfu-Grundlagen.
[14] Reutter U, Suhl K. Kinder mit Migrationshintergrund. Hinweise zu Mobilitaetsverhalten und Verkehrssicherheit. ZVS. 2012; 58(1): 29–34.
[15] Cao S, Samuel S, Murzello Y et al. Hazard perception in driving: A systematic literature review. Transp Res Rec. 2022; 2676(12): 666–690. DOI:10.1177/03611981221096666.
[16] Horswill MS. Hazard perception in driving. Curr Dir Psychol Sci. 2016; 25(6): 425–430.