Velounfälle: Vortrittsmissachtung der Kollisionsgegner

Vortrittsmissachtungen durch andere Verkehrsteilnehmende spielen bei schweren Velounfällen eine wichtige Rolle. Die meisten dieser Unfälle passieren innerorts, an Verzweigungen oder in Kreiseln.

Ausgangslage

Vortrittsmissachtungen durch andere Verkehrsteilnehmende – zumeist Motorfahrzeuglenkende – sind ein bedeutender Risikofaktor für schwere Velounfälle. Dabei kann es sich um Vortrittsmissachtungen in Situationen mit Signalisation (z. B. «kein Vortritt») oder ohne Signalisation (z. B. Rechtsvortritt oder Linksabbiegen vor dem Gegenverkehr) handeln.

Die genauen Ursachen für diese Vortrittsmissachtungen sind in der Verkehrsunfallstatistik nicht direkt ersichtlich. Studien deuten darauf hin, dass die fehlbaren Motorfahrzeuglenkenden die Velofahrenden oft übersehen oder zu spät wahrnehmen [1–3].

Manchmal wird auch deren Geschwindigkeit unterschätzt. Diese Wahrnehmungsfehler können wiederum auf infrastrukturelle Mängel (z. B. ungenügende Sichtweiten an Knoten, inadäquate Veloverkehrsführung) oder auf eine zu hohe Komplexität der Verkehrssituation zurückzuführen sein.

Menschliche Leistungsgrenzen, Fehleinschätzungen und ungünstige Verhaltensweisen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle – wobei diese Faktoren auch durch die Infrastruktur beeinflusst werden können. Autofahrerinnen und Autofahrer übersehen Velofahrende beispielsweise, weil diese aufgrund der schmalen Silhouette generell eher unauffällig sind. Manchmal wenden sie aber auch falsche Blickstrategien an, rechnen zu wenig mit Velofahrenden oder sind in der spezifischen Situation visuell oder kognitiv überfordert [2,3].

Bei fast allen schweren Velounfällen infolge von Vortrittsmissachtungen durch andere Verkehrsteilnehmende handelt es sich um Kollisionen. Selten sind es Unfälle beim Ausweichen ohne Kollision.

Verbreitung

Aufgrund der Unfallstatistik lässt sich vermuten, dass es relativ häufig vorkommt, dass Velofahrerinnen und Velofahrern der Vortritt genommen wird. Die meisten schweren Personenschäden von Velofahrenden, die auf Vortrittsmissachtungen von anderen Verkehrsteilnehmenden zurückzuführen sind, passieren innerorts (85 %). 

Die häufigste Unfallstelle ist die Verzweigung (Kreuzungen und Einmündungen) mit 59 %, gefolgt vom Kreisel mit 19 %. Damit dürften Kreisel im Vergleich zu ihrer Häufigkeit deutlich überrepräsentiert sein. Insgesamt handelt es sich bei den Vortrittsmissachtungen am häufigsten um Missachten des Vortrittssignals «Kein Vortritt» (39 %), gefolgt von Vortritt beim Linksabbiegen vor Gegenverkehr (27 %) (Unfalldaten: Ø 2018–2022).

Gefährlichkeit

Wie häufig eine Vortrittsmissachtung letztlich zu einem Unfall führt, kann mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden. Es ist aber zu vermuten, dass Vortrittsmissachtungen öfters zu Kollisionen führen. 

Im Vergleich zu den anderen Unfallursachen seitens der Kollisionsgegner ist das Sterberisiko bei Vortrittsmissachtungen für die Velofahrenden geringer. Konkret: Wenn 10 000 Velofahrende bei einer fremdverschuldeten Kollision verunfallen, sterben 40 von ihnen, wenn ihnen der Vortritt genommen wurde (Hauptursache). 

Bei Kollisionen, die der Kollisionsgegner aus anderen Gründen verursacht hat (z. B. Unaufmerksamkeit und Ablenkung oder Alkohol), sterben 90 Velofahrende (Ø 2013–2022). Betrachtet man aber auch das Risiko für eine schwere Verletzung der Velofahrenden, so zeigt sich zwischen Vortrittsmissachtungen und anderen Ursachen seitens der Kollisionsgegner kein bedeutender Unterschied.

Unfallrelevanz

Vortrittsmissachtungen durch andere Verkehrsteilnehmende spielen bei schweren Velounfällen eine wichtige Rolle: 19 % aller schweren Personenschäden von Velofahrerinnen und Velofahrern sind auf diese Hauptursache zurückzuführen (Ø 2018–2022). Bei den vortrittsmissachtenden Verkehrsteilnehmenden handelt es sich in 4 von 5 Fällen um Lenkende von Personenwagen. Danach folgen Lenkende von Lieferwagen (8 %), Lenkende von schweren Motorfahrzeugen (4 %) und andere Velo- oder E-Bike-Fahrende (3 %).

Hinweise

Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei Velounfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.

Quellen

[1] Räsänen M, Summala H. Attention and expectation problems in bicycle–car collisions: An in-depth study. Accid Anal Prev. 1998; 30(5): 657–666. DOI:10.1016/S0001-4575(98)00007-4.

[2] Uhr A. Verkehrssicherheit von Velos und E-Bikes im Kreisel. Bern: BFU, Beratungsstelle für Un-fallverhütung; 2022. Forschung 2.463. DOI:10.13100/BFU.2.463.01.2022.

[3] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstel-le für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.

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