Ausgangslage
Die Geschwindigkeit ist ein zentraler Einflussfaktor bei Verkehrsunfällen: Je höher das Tempo, desto höher das Unfallrisiko und desto schwerer der Unfall. Auch bei Velounfällen ist die nicht angepasste Geschwindigkeit eine der wichtigeren Ursachen. Dabei geht es in der Regel nicht um das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Vielmehr passen die Velofahrenden ihre Geschwindigkeit nicht der Situation an, z. B. den Strassenverhältnissen oder der Linienführung.
Verbreitung
Wie häufig Velofahrerinnen und Velofahrer mit nicht angepasster Geschwindigkeit unterwegs sind, lässt sich nur schwer abschätzen. In Studien wird meist nur die absolute Geschwindigkeit gemessen.
In einer älteren Beobachtungsstudie aus dem Jahr 1991 wurde die Fahrgeschwindigkeit von Velofahrenden in Zürich beurteilt. Dabei wurden 3 % als «eher zu schnell» und 4 % als «rasant» eingestuft, wobei mehr als die Hälfte dieser schnelleren Velofahrenden Jugendliche waren. Es ist jedoch unklar, ob diese Einschätzungen situationsabhängig gemacht wurden ([1] zit. in [2]).
Auch andere Studien stellen Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen fest: Männer und jüngere Velofahrende fahren im Durchschnitt schneller als Frauen und ältere Velofahrende [3,4]. Rennvelofahrende bevorzugen nach eigenen Angaben häufiger höhere Geschwindigkeiten als Cityvelo-Fahrerinnen und -Fahrer [5].
Erwartungsgemäss zeigen Studien, dass die höchsten Geschwindigkeiten bergab erreicht werden [4,6].
Gefährlichkeit
Die Fahrgeschwindigkeit hat einen entscheidenden Einfluss auf die Verkehrssicherheit:
- Höhere Geschwindigkeiten führen zu einem längeren Anhalteweg (Reaktions- und Bremsweg). Die verfügbare Zeit, um auf unerwartete Situationen reagieren zu können, wird verkürzt.
- Unfälle können bei höheren Geschwindigkeiten schwerere Folgen haben [3]. Eine ältere Studie, in der hospitalisierte Velofahrende nach ihrer Geschwindigkeit zum Unfallzeitpunkt befragt wurden, zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung bei einer geschätzten Geschwindigkeit von > 15 mph (ca. 24 km/h) um den Faktor 1,2 höher war als bei einer Geschwindigkeit von < 15 mph [7].
- Höhere Geschwindigkeiten von Velofahrenden werden von anderen Verkehrsteilnehmenden stärker unterschätzt als niedrigere Geschwindigkeiten. Dies zeigen experimentelle Studien: Höhere Geschwindigkeiten von sich nähernden Zweirädern führten zu grösseren Fehleinschätzungen der Ankunftszeit. Die Probandinnen und Probanden überschätzten die Zeit bis zur Ankunft des Zweirads stärker und wählten kürzere Zeitlücken, um vor diesem abzubiegen [8].
Aus diesen Befunden lässt sich schliessen, dass höhere Geschwindigkeiten mit einem erhöhten Unfall- und Verletzungsrisiko für Velofahrende einhergehen.
Unfallrelevanz
Gemäss der offiziellen Verkehrsunfallstatistik sind 8 % aller schweren Personenschäden von Velofahrenden hauptsächlich auf eine nicht angepasste Geschwindigkeit des Velofahrers oder der Velofahrerin zurückzuführen (Ø 2019–2023). Werden auch die Unfälle berücksichtigt, bei denen die Geschwindigkeit der Velofahrenden eine Mitursache war, erhöht sich der Anteil auf 12 %.
Bei den durch Velofahrende verursachten Geschwindigkeitsunfällen handelt es sich am häufigsten um das «Nichtanpassen an die Linienführung (enge Kurve, Verzweigungsbereich usw.)». An zweiter Stelle folgt das «Nichtanpassen an die Strassenverhältnisse (nass, vereist, Rollsplitt, Laub usw.)».
Die Mehrzahl der schweren Velounfälle, bei denen Geschwindigkeit als (Mit-)Ursache angesehen wird, sind Alleinunfälle (70 %).
Hinweise
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Bike-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Hebenstreit B, Jöri H. Velofahrer im Stadtverkehr. Akzeptanz und Einhaltebereitschaft von signalisierten und allgemeinen Verkehrsvorschriften durch Velofahrer. Zürich: Institut für angewandte Psychologie; 1991.
[2] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[3] Twisk DAM, Stelling A, van Gent P et al. Speed characteristics of speed pedelecs, pedelecs and conventional bicycles in naturalistic urban and rural traffic conditions. Accid Anal Prev. 2021; 150(2): 105940. DOI:10.1016/j.aap.2020.105940.
[4] Schleinitz K, Petzoldt T, Franke-Bartholdt L et al. The German naturalistic cycling study – Comparing cycling speed of riders of different e-bikes and conventional bicycles. Saf Sci. 2017; 92: 290–297.
[5] von Below A. Verkehrssicherheit von Radfahrern – Analyse sicherheitsrelevanter Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH; 2016. Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen BASt, Mensch und Sicherheit M 264.
[6] Eriksson J, Forsman Å, Niska A et al. An analysis of cyclists' speed at combined pedestrian and cycle paths. Traffic injury prevention. 2019; 20(sup3): 56–61. DOI:10.1080/15389588.2019.1658083.
[7] Rivara FP, Thompson DC, Thomspon RS. Epidemiology of bicycle injuries and risk factors for serious injury. Injury Prevention. 1997; 3(2): 110–114.
[8] Schleinitz K, Kühn M, Gehlert T. Geschwindigkeitswahrnehmung von einspurigen Fahrzeugen: Matthias Kühn ; Tina Gehlert. Berlin: Unfallforschung der Versicherer; 2015. Forschungsbericht / Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V 33.