Ausgangslage
Unaufmerksamkeit und Ablenkung gehören generell zu den häufigsten Unfallursachen im Strassenverkehr. Dies gilt auch für E-Trottinett-Unfälle. Unter Ablenkung wird im Folgenden die Verschiebung der Aufmerksamkeit von der Fahraufgabe zu fahrfremden Tätigkeiten, Objekten oder Ereignissen verstanden. Sie wird durch Ablenkungsquellen ausserhalb der Person ausgelöst, zum Beispiel durch das Handy, Musik oder andere Personen. Unaufmerksamkeit umfasst die innere bzw. selbst erzeugte Ablenkung wie z.B. abschweifende Gedanken oder Tagträume.
Verbreitung
Angaben zur Verbreitung von Unaufmerksamkeit und Ablenkung bei E-Trottinett-Fahrenden liegen nur für gewisse Arten der Ablenkung vor. Keine Informationen gibt es darüber, wie häufig E-Trottinett-Fahrerinnen und -Fahrer während der Fahrt in Gedanken versunken resp. unaufmerksam sind. Die Verbreitung ist schwer abzuschätzen, da dies weder beobachtbar ist noch zuverlässig erfragt werden kann.
Eine Beobachtungsstudie in Deutschland zeigte, dass 15 % der E-Trottinett-Fahrenden eine fahrfremde Tätigkeit ausübten (Ablenkung). Dabei handelte es sich vor allem um das Tragen von Kopfhörern (12 %) (siehe Hinweis 1), um Gespräche (3 %) oder um Essen, Trinken oder Rauchen (1 %). Am Handy wurden weniger als ein Prozent der E-Trottinett-Fahrenden beobachtet [1].
Gefährlichkeit
Die Forschung zur Gefährlichkeit von Unaufmerksamkeit und Ablenkung im Langsamverkehr hat sich bisher vor allem mit der Ablenkung beim Velofahren befasst, insbesondere durch Handys. Vermutlich gelten die Ergebnisse auch beim E-Trottinett-Fahren, wobei ablenkende Tätigkeiten bei diesen wegen der geringeren Fahrstabilität noch gefährlicher sein könnten als beim Velofahren.
Studien zur Handynutzung bei Velofahrenden [2] zeigen negative Auswirkungen auf das Fahrverhalten (z. B. kurvenreiches und wackliges Fahren bei manueller Bedienung des Telefons) sowie auf die visuelle und die akustische Wahrnehmung. Zudem zeigen Velofahrende, die ein Handy nutzten oder Musik hörten, häufiger regelwidriges oder riskantes Verhalten wie z.B. unvorsichtiges Verhalten an Kreuzungen.
Inwieweit die Handynutzung und das Hören von Musik während der Velofahrt das Unfallrisiko tatsächlich erhöhen, kann noch nicht abschliessend beurteilt werden. Auch wenn eine abschliessende Beurteilung auch für Velofahrende noch fehlt, ist aufgrund der vorliegenden Informationen von einem erhöhten Risiko für Velofahrten unter Ablenkung auszugehen [2].
Weiter ist anzunehmen, dass insbesondere jene Tätigkeiten riskant sind, bei denen der Blick von der Strasse abgewendet wird und die zusätzlich motorische Ressourcen beanspruchen (z. B. Schreiben einer Nachricht auf dem Handy) [3]. Auch für E-Trottinett-Fahrende dürfte das Unfallrisiko durch Ablenkung steigen. Es kommt hinzu, dass ein E-Trottinett beim Fahren weniger stabil ist als ein Velo und es dadurch mit dem E-Trottinett schneller zu Stürzen kommt (z. B. bei einhändigem Fahren oder beim Fahren in ein Schlagloch).
Zur Gefährlichkeit von Unaufmerksamkeit scheint es auch fürs Velofahren keine Studien zu geben. Es ist aber davon auszugehen, dass sich Unaufmerksamkeit negativ auf die Verkehrssicherheit auswirkt. Kritisch dürften vor allem Situationen sein, bei denen etwas Unvorhergesehenes passiert (wenn z. B. ein Kind auf die Strasse läuft). Die Gefährlichkeit dürfte aber geringer sein als bei Ablenkungsarten, die visuelle und manuelle Ressourcen beanspruchen.
Unfallrelevanz
Unaufmerksamkeit und Ablenkung gehören gemäss Polizeistatistik zu den häufigsten Ursachen von schweren E-Trottinett-Unfällen. Allerdings dürfte diese Ursache etwas überschätzt werden, da bei fehlenden anderen Ursachen oft diese Kategorie gewählt wird.
Insgesamt wird bei 15% aller schweren Personenschäden bei E-Trottinett-Fahrenden deren Unaufmerksamkeit oder Ablenkung als Hauptursache des Unfalls angesehen (Ø 2019–2023). In etwas mehr als der Hälfte dieser Fälle handelt es sich um eine «momentane Unaufmerksamkeit». Die Ablenkung durch Bedienung des Telefons wird fast nie als Hauptursache des Unfalls registriert (< 1 %). Dies könnte allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass die Nutzung des Handys während dem Fahren selten zugegeben wird.
Sind die E-Trottinett-Fahrenden Hauptverursachende ihres Unfalls, so wird dieser in 17% der Fälle auf Ablenkung oder Unaufmerksamkeit zurückgeführt. Bei den Alleinunfällen von E-Trottinett-Fahrenden liegt dieser Anteil bei 20 %.
Hinweise
- In der Studie konnte nicht erfasst werden, ob die Kopfhörer nur getragen wurden oder ob die E-Trottinett-Fahrenden tatsächlich abgelenkt waren, weil sie z. B. Musik hörten.
Die Erkenntnisse im Unterkapitel «Gefährlichkeit» stammen aus der Literaturarbeit von Hertach (2017) [2].
Die Originalquellen der erwähnten Befunde können dieser Literaturarbeit entnommen werden.
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Trottinett-Unfällen eine hohe Dunkelziffer geben dürfte, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Huemer AK, Banach E, Bolten N et al. Secondary task engagement, risk-taking, and safety-related equipment use in German bicycle and e-scooter riders - An observation. Accid Anal Prev. 2022; 172: 106685. DOI:10.1016/j.aap.2022.106685.
[2] Hertach P. Kurzanalyse Gefahren durch die Handynutzung im Langsamverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2017. bfu-Faktenblatt Nr. 19. DOI:10.13100/bfu.2.289.01.
[3] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.