Ausgangslage
Müdigkeit am Steuer ist ein wesentlicher Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Dabei geht es nicht nur um Sekundenschlaf – ein kurzes Einnicken während der Fahrt –, sondern auch um müdigkeitsbedingte Leistungseinbussen, die bereits lange vor dem eigentlichen Einschlafen auftreten, z. B. eine langsamere Reaktion [1].
Müdigkeit ist ein Signal des Körpers, dass die aktuelle körperliche oder geistige Aktivität oder auch bloss das «Wachsein» beendet werden sollte. Viele Lenkerinnen und Lenker setzen ihre Fahrt jedoch trotz wahrgenommener Müdigkeitssymptome wie Gähnen, Unkonzentriertheit, Fahrfehler oder schweren Augenlidern fort.
Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit treten alters- und krankheitsbedingt häufiger bei älteren Personen auf [2]. Allerdings zeigt sich, dass jüngere Autolenkende häufiger in übermüdetem Zustand im Strassenverkehr unterwegs sind als ältere [3–5].
In der Schweiz werden neun von zehn Müdigkeitsunfällen von Lenkenden von Personenwagen verursacht oder zumindest mitverursacht [1].
Verbreitung
Untersuchungen zeigen, dass Müdigkeit am Steuer ein häufig auftretendes Phänomen im Strassenverkehr ist. Gemäss der Bevölkerungsbefragung der BFU 2024 gaben 57 % aller befragten Autofahrenden an, dass sie zumindest ab und zu übermüdet fahren. Dieser Anteil war bei den 25- bis 64-jährigen Autofahrenden mit 61 % leicht höher [6].
Gemäss einer grossen Befragung in 39 Ländern weltweit, darunter 22 in Europa, war der Anteil der befragten Autofahrenden aus der Schweiz, die angaben, mindestens einmal in den letzten 30 Tagen so müde Auto gefahren zu sein, dass sie die Augen nur mit Mühe offenhalten konnten, mit 22 % leicht höher als der Anteil unter den Autofahrenden aus allen teilnehmenden europäischen Ländern (18 %) [3].
Gefährlichkeit
Müdigkeit geht mit einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit einher. Übermüdete Personen haben beispielsweise Schwierigkeiten, die Spur zu halten, nehmen Gefahren verzögert wahr und reagieren verspätet auf unerwartete Ereignisse. Im schlimmsten Fall führt Müdigkeit zu Sekundenschlaf am Steuer.
Aufgrund dieser Beeinträchtigungen weisen übermüdete Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Unfallrisiko auf. Eine genaue Spezifizierung dieses Risikos ist kaum möglich. Grob geschätzt dürfte das relative Risiko aber im Bereich von 1,5 bis 4 liegen [1]. In einer Studie zu den Auswirkungen einer Schlafapnoe oder eines Schlafmangels auf das Unfallrisiko wurden verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen [7]. Die Studie zeigte diesbezüglich keinen nennenswerten Unterschied zwischen älteren und jüngeren Personen.
Müdigkeitsbedingte Unfälle sind oft schwerwiegend, wenn der Lenker oder die Lenkerin eingeschlafen ist. Grund dafür dürfte sein, dass sie sich bei höherer Geschwindigkeit ereignen bzw. dass vor dem Aufprall nicht oder zu spät gebremst wurde [4].
Unfallrelevanz
Laut Unfallstatistik wird Müdigkeit (inkl. Sekundenschlaf) bei knapp 2 % aller schweren Personenschäden als Hauptursache registriert (Ø 2019–2023) (siehe Hinweis 1). Der gleiche Anteil zeigt sich bei den schweren Personenschäden der 25- bis 64-Jährigen.
Der Anteil der Insassinnen und Insassen von Personenwagen bei den 25- bis 64-Jährigen, die einen schweren Unfall erlitten haben, ist deutlich höher, wenn Müdigkeit die Hauptursache ist (77 %) als bei allen schweren Unfällen insgesamt (18 %). Müdigkeitsunfälle kommen somit vergleichsweise selten bei anderen Verkehrsmitteln wie Motorrädern oder Velos vor.
Hinweise
- Da es für die Polizei schwierig ist, Übermüdung am Unfallort zuverlässig festzustellen und die Betroffenen ihre Schläfrigkeit oft verschweigen, wird das Ausmass des Problems in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik unterschätzt. Studien zeigen, dass Müdigkeit ein viel substanziellerer Einflussfaktor ist. Unter Ausschluss anderer Faktoren wie Dunkelheit, Alkohol und überhöhter Geschwindigkeit kann geschätzt werden, dass Müdigkeit insgesamt bei rund 10 % aller schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine (Mit-)Ursache ist [1]. Der entsprechende Anteil dürfte bei den 25- bis 64-Jährigen ebenfalls etwa 10 % betragen.
Quellen
[1] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[2] Uhr A, Ewert U, Scaramuzza G et al. Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2016. Sicherheitsdossier Nr. 14. DOI:10.13100/bfu.2.271.01.
[3] Areal A, Pires C, Pita R et al. Distraction (mobile phone use) & fatigue: ESRA3 Thematic report Nr. 3. ESRA project (E-Survey of Road users' Attitudes: Portuguese Road Safety Association; 2024.
[4] European Commission. Road safety thematic report – Fatigue. Brussels: European Road Safety Observatory; 2021.
[5] Sagaspe P, Taillard J, Bayon V et al. Sleepiness, near-misses and driving accidents among a representative population of French drivers. J Sleep Res. 2010; 19(4): 578–584. DOI:10.1111/j.1365-2869.2009.00818.x.
[6] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2024: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle. Bern: BFU; 2024.
[7] Gottlieb DJ, Ellenbogen JM, Bianchi MT, Czeisler C. Sleep deficiency and motor vehicle crash risk in the general population: A prospective cohort study. BMC Med. 2018; 16(1): 44. DOI:10.1186/s12916-018-1025-7.