Ausgangslage
Die Strassenverkehrsinfrastruktur wird dann zum Risiko, wenn sie nicht normkonform ist oder nach dem aktuellen Stand der Forschung und Technik geplant, projektiert und umgesetzt wird. Auch der Unterhalt und die Instandhaltung der Infrastrukturelemente spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die häufigsten Gefahrenstellen und Sicherheitsdefizite der Strasseninfrastruktur für Lenkende von Personenwagen (PW) lassen sich in drei Kategorien gliedern [1]:
- Fehlerhafte Systemkomponenten: z. B. inadäquater Kurvenradius
- Falsche Systemkomponenten: z. B. falsch gewählte Vortrittsregelung an Kreuzungen
- Fehlende Infrastrukturelemente: z. B. fehlendes Gefahrensignal
Für PW-Lenkende sind insbesondere die folgenden Defizite relevant:
- Innerorts: unübersichtliche Strassenraumgestaltung, nicht normkonforme Knotengestaltung, schlechte Wahrnehmbarkeit von Infrastruktur, insbesondere bei Nacht
- Ausserorts: feste Objekte als potenzielle Kollisionsobjekte, nicht selbsterklärende Linienführung, unzureichende Knotengestaltung, nicht unterbundenes Überholen auf kritischen Abschnitten (sofern möglich)
- Autobahnen: feste Objekte als potenzielle Kollisionsobjekte, ungenügende Leistungsfähigkeit des Sekundärknotens (Rückstauung an Knotenpunkten nach Ausfahrten), zu kurze Ausfahrten
Psychologische Aspekte bei der Strassenraumgestaltung, beispielsweise menschliche Überforderung in komplexen Verkehrssituationen und -bereichen, werden in einem separaten Text betrachtet (( Link auf Personenwagen_Risikofaktoren_Infrastruktur_Komplexitaet_Anspruchsniveau.docx)).
Verbreitung
Eine umfassende Übersicht darüber, welcher Anteil der Infrastruktur auf Schweizer Strassen Gefahrenstellen und Defizite aufweist, gibt es aktuell noch nicht. Um dennoch Aussagen über die Verbreitung von infrastrukturellen Defiziten treffen zu können, kann auf die Resultate aus der Anwendung spezifischer Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente (ISSI) zurückgegriffen werden.
Im Kanton Zürich werden zum Beispiel die Sicherheitsdefizite aus den jährlich durchgeführten «Road Safety Inspections» (RSI) systematisch dokumentiert und analysiert. Die häufigsten Defizite mit mittlerem bis hohem Unfallrisiko liegen in den folgenden Bereichen [2]:
- 52 % Sichtweiten: Knoten- und Anhaltesichtweiten
- 20 % Verkehrsführung: Knotengeometrie, visuelle Linienführung, Fahrbahnquerschnitt
- 11 % Ausrüstung: Beleuchtung, optische Leiteinrichtung, Rückhaltesysteme
Gefährlichkeit
Infrastrukturelle Defizite beeinflussen nicht nur das Unfallrisiko, sondern auch die Unfallschwere. Einflussfaktoren finden sich für jede Ortslage oder Unfallstelle, in lokalen Aspekten wie Wetterbedingungen oder der Verkehrsdichte, aber auch in unterschiedlichen Normen oder Rechtsgrundlagen und darin enthaltenen Sicherheitsmassnahmen (z. B. bauliche Gestaltung, Tempolimits etc.).
Eine quantitative und verlässliche Aussage über die allgemeine Gefährlichkeit der Strassenverkehrsinfrastruktur ist nur bedingt möglich. Dennoch geben einzelne Studien zu infrastrukturellen Sicherheitsdefiziten einen Rückschluss auf die Gefährlichkeit, so zum Beispiel bei der Gestaltung des Seitenraums auf Ausserortsstrassen.
Ungünstig platzierte, feste Objekte haben einen wesentlichen Einfluss auf die Verletzungsschwere nach einem Aufprall. Die Unfallforschung der Versicherer in Deutschland beziffert das Risiko für Personenwagenlenkende, nach einem Baumanprall getötet zu werden, auf etwa 2,5-mal höher als bei anderen Verkehrsunfällen auf Landstrassen [3].
Unfallrelevanz
Aus der Unfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, welche Unfälle ausschliesslich auf infrastrukturelle Defizite zurückzuführen sind und welche Defizite dies sind. Dennoch ist davon auszugehen, dass die oben beschriebenen Defizite im Vergleich zu anderen Risikofaktoren im Unfallgeschehen eine eher weite Verbreitung und auch relativ hohe Gefährlichkeit haben und somit eine bedeutende Rolle im Unfallgeschehen spielen.
Um zumindest Hinweise auf mögliche infrastrukturelle Defizite und deren Auswirkungen auf das Unfallgeschehen zu finden, können Analysen der häufigsten Unfalltypen, der zentralen Unfallstellen sowie der von der Polizei am häufigsten registrierten Hauptursachen durchgeführt werden. Diese Herangehensweise ermöglicht es zwar, die Situationen mit dem grössten Handlungsbedarf zu identifizieren. Es bleibt jedoch offen, ob wirklich die Infrastruktur die entscheidende Unfallursache war.
Beispiele für einen möglichen Einfluss von defizitärer Infrastruktur in Form von nicht fehlerverzeihender Seitenraumgestaltung, unverständlicher Linienführung, ungenügender Signalisation oder mangelnder Sichtweite auf das Unfallrisiko sind Folgende [4]:
- Selbst- und Schleuderunfälle mit Kollision mit einem Hindernis ausserhalb der Fahrbahn machen 38 % der schweren und tödlichen Unfälle von Personenwagenlenkenden aus, besonders häufig auf kurvigen Ausserortsstrassen.
- Drei Viertel aller PW-Kollisionen mit dem Gegenverkehr tragen sich ausserorts zu, etwas mehr in Kurven als auf geraden Strecken, meist aufgrund falscher geometrischer Paramater (fehlende Kurvenaufweitung oder falsches Quergefälle).
- Bei fast 70 % der PW-Kollisionen mit dem Querverkehr – die knapp 9 % aller schweren PW-Unfälle entsprechen – handelt es sich um Vortrittsmissachtungen.
Hinweise
Die Analyse der Hauptursachen in der schweizerischen Verkehrsunfallstatistik liefert nur begrenzte Hinweise auf infrastrukturelle Defizite, da häufige Hauptursachen – wie beispielsweise Alkohol – keinen direkten Zusammenhang mit der Infrastruktur aufweisen oder zu unspezifisch bzw. gar nicht dokumentiert werden. Zudem erschwert die hohe Dunkelziffer, besonders bei Alleinunfällen und leichten Verletzungen, verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Walter E, Achermann Stürmer Y, Ewert U et al. Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. Sicherheitsdossier Nr. 13.
[2] Ringel L. Road Safety Inspection Jahresbericht 2023. Zürich: Baudirektion, Tiefbauamt; 2023.
[3] Bakaba JE, Ortlepp J. Bekämpfung von Baumunfällen für mehr Sicherheit auf Landstrassen. ZVS. 2009; 55(2): 75–80.
[4] Bundesamt für Strassen ASTRA. Polizeilich registrierte Strassenverkehrsunfälle: ASTRA; 2024.