Regelmissachtungen als Risikofaktor bei Personenwagenunfällen

Verkehrsregeln haben ihre Berechtigung: 19 % aller von PW-Lenkerinnen und -Lenkern verursachten schweren Unfälle geschehen wegen Missachtung der Verkehrsregeln.

Ausgangslage

Regelmissachtungen und Regelverstösse umfassen sowohl bewusstes als auch unbewusstes Verhalten von Verkehrsteilnehmenden, das gegen die Vorschriften des Strassenverkehrsrechts verstösst. Zu diesen Regelmissachtungen zählen beispielsweise das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit ((Link auf Unterseite)), das Fahren unter Einfluss von Alkohol ((Link auf Unterseite)) oder Drogen ((Link auf Unterseite)), die Ablenkung ((Link auf Unterseite)) sowie die Vortrittsmissachtung ((Link auf Unterseite)). Diese Regelmissachtungen zählen zu den häufigsten Unfallursachen und werden auf eigenen Themenseiten behandelt. 

Weitere Verstösse im Strassenverkehr:

  • Missachten des Rotlichts, eines Signals oder einer Markierung
  • Zu nahes Aufschliessen
  • Rechts überholen
  • Fehlende Zeichengabe (z. B. durch Blinken)
  • Fahren in verbotener Richtung (Einbahnstrasse)
  • Im Folgenden wird der Fokus auf diese Verstösse gelegt.

Es gibt viele Gründe, warum sich Lenkende von Personenwagen nicht an die Regeln halten [1]. Eine wichtige Rolle spielt die generelle Einstellung zu Regeln. Besonders problematisch sind überzeugte Regelmissachtungen (sog. «violations»): Man will sich nicht an die Regeln halten und fürchtet keine Konsequenzen. 

Regelmissachtungen kommen aber auch trotz Regelakzeptanz vor. In diesem Fall handelt es sich entweder um unbewusste Regelmissachtungen (z. B. durch Fehler) oder um opportunistische Regemissachtungen. Bei Letzteren spielt die momentan wahrgenommene Situation eine entscheidende Rolle. Die Gründe für die Regelmissachtung in diesem Fall sind vielfältig und hängen beispielsweise ab von: 

  • Sozialen Einflüssen im Sinne von Modellverhalten («alle anderen verhalten sich auch so»)
  • Konkurrierenden Motiven (z. B. Eile)
  • Gelegenheiten (z. B. durch fehlenden Überwachungsdruck)
  • Dem situativen Aufforderungscharakter (z. B. durch die Strassengestaltung)

Verbreitung

Zur Häufigkeit der genannten Regelmissachtungen liegen in der Schweiz nur wenige aktuelle Daten vor. In der jährlichen, repräsentativen Bevölkerungsbefragung der BFU wurden Autofahrende gefragt, wie häufig sie bestimmte regelwidrige oder der Sicherheit abträgliche Verhaltensweisen zeigen [2,3]. Drei Fünftel der Befragten gaben an, dass sie zumindest ab und zu zum vorausfahrenden Auto sehr nah aufschliessen [3].

Gefährlichkeit

Regelmissachtungen stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. In einer Naturalistic Driving Study (NDS) aus den USA wurde das Unfallrisiko bei verschiedenen Regelverstössen im Vergleich zu einer vorbildlichen Fahrweise abgeschätzt [4].

Beispielsweise wurde zur Gefährlichkeit für das weit verbreitete Verhalten «Keine Zeichengabe» eine Odds Ratio (s. Hinweis 1) von 2,5 ermittelt. Das bedeutet, dass das Unfallrisiko bei Nichtbeachtung dieser Regel um den Faktor 2,5 gegenüber einem vorbildlichen Fahrverhalten erhöht ist.

Für folgende Regelverstösse wurden besonders hohe Unfallrisiken (Odds Ratio, Erwartungswert inkl. 95%-Konfidenzintervall in Klammern, siehe Hinweis 2) ermittelt:

  • Plötzliches oder unangemessenes Bremsen, Abbremsen: 247,8 (53.1–1156.2)
  • Unvorsichtiges Wenden des Fahrzeugs: 92,1 (68,8–123,4)
  • Missachten eines Signals: 28,3 (15,9–50,2)
  • Fahren in verbotener Richtung: 22,3 (12,0–41,5)

Unfallrelevanz

19 % aller Unfälle mit schweren Personenschäden, die von Lenkerinnen und Lenkern von Personenwagen (PW) verursacht werden, sind auf Regelmissachtungen zurückzuführen (Ø 2019–2023).

Die Verstösse lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Der grösste Anteil entfällt mit 10,8 % auf fehlerhaftes Fahrverhalten. Dazu zählen insbesondere zu dichtes Aufschliessen (22 %), vorschriftswidriges Kreuzen in Längsrichtung oder ungenügendes Rechtsfahren (21,5 %) sowie unvorsichtiges Rückwärtsfahren (20,8 %).

Bedienungsfehler im Fahrzeug machen 3,4 % der Verstösse aus. Zu den häufigsten Problemen in diesem Bereich zählen fehlerhafte Manipulation im Fahrzeug (33 %), wie z. B. das Verwechseln von Gas und Bremse, sowie das unvorsichtige Öffnen der Wagentür (25,5 %).

Fehlverhalten beim Überholen trägt mit 3 % zur Gesamtzahl der Verstösse bei, wobei vor allem zu nahes Überholen seitlich (44 %) und Überholen bei Gegenverkehr (32 %) hervorzuheben sind. Das Missachten von Lichtsignalen (1,2 %) und die Missachtung von Signalisationen (0,5 %) machen nur einen geringen Anteil aus.

Hinweise

  1. Die Odds Ratio (OR) gibt an, um wie viel sich die Chance (Englisch: odds) für das Eintreten eines Ereignisses durch einen Einflussfaktor verändert. Zur Berechnung werden in einem ersten Schritt die Odds für ein Ereignis bei Vorhandensein des Einflussfaktors und die Odds für ein Ereignis bei Nichtvorhandensein des Einflussfaktors berechnet. «Odds» sind definiert als das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, zu der Wahrscheinlichkeit, dass es nicht eintritt. Diese beiden Odds werden dann zueinander ins Verhältnis gesetzt (Odds Ratio). Wie das Relative Risiko kann auch die Odds Ratio einen Wert zwischen 0 und unendlich annehmen. Auch hier weist eine OR > 1 auf einen positiven Zusammenhang hin [5].

  2. Das 95%-Konfidenzintervall gibt an, dass bei 95 % aller möglichen Stichproben der wahre Parameterwert innerhalb des berechneten Intervalls liegt. Es beschreibt also den Bereich, in dem der wahre Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % zu erwarten ist, basierend auf den Daten einer Stichprobe.

  3.  

    Für die Berechnung der Unfallrelevanz wurden die Unfalluntergruppen 21 («Fahren»), 22 («Überholen»), 24 («Lichtsignale»), 25 («Signalisation») sowie 27 («Bedienung des Fahrzeugs») aus «Anhang 2: Ursachen und Hauptursache der Instruktion zum Unfallaufnahmeprotokoll 2018 (UAP2018)» des ASTRA berücksichtigt [6]. 

Quellen

[1] Rössger L, Schade J, Schlag B, Gehlert T. Verkehrsregelakzeptanz und Enforcement. Berlin: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV; 2011. Forschungsbericht GDV VV 06.

[2] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2022: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle [Unveröffentlichter Bericht]. Bern: BFU; 2022.

[3] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2023: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle [Unveröffentlichter Bericht]. Bern: BFU; 2023.

[4] Dingus TA, Guo F, Lee S et al. Driver crash risk factors and prevalence evaluation using naturalistic driving data. Proc Natl Acad Sci U S A. 2016; 113(10): 2636–2641. DOI:10.1073/pnas.1513271113.

[5] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.

[6] Bundesamt für Strassen ASTRA. Instruktionen zum Ausfüllen des Unfallaufnahmeprotokolls (UAP) 2018, Anhang 2: Ursachen und Hauptursache. Bern. ASTRA, Hg. www.astra.admin.ch/astra/de/home/dokumentation/unfalldaten/grundlagen/unfallerfassung.html. Zugriff am 21.10.2020.

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