Müdigkeit als Risikofaktor bei Verkehrsunfällen von Seniorinnen und Senioren

Bei schätzungsweise 10 % aller schweren Verkehrsunfälle von Motorfahrzeuglenkenden ist Müdigkeit am Steuer im Spiel. Bei Unfällen älterer Personen dürfte der Anteil geringer sein.

Ausgangslage

Müdigkeit am Steuer ist ein wichtiger Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Dabei geht es um den sogenannten «Sekundenschlaf» und um alle müdigkeitsbedingten Leistungseinbussen, die sich bereits lange vor dem eigentlichen Einschlafen bemerkbar machen – z. B. eine verlangsamte Reaktion [1].

Müdigkeit im Alter hängt oft mit gesundheitlichen Problemen und der Einnahme von Medikamenten zusammen. Hinzu kommen altersbedingte Veränderungen wie kürzere Tiefschlafphasen oder Veränderungen des zirkadianen Rhythmus resp. der «inneren Uhr» [2]. Weitere allgemeine Ursachen für Müdigkeit am Steuer sind Schlafmangel, Fahrten zu Zeiten mit hohem Schlafbedürfnis, lange oder monotone Fahrten sowie Alkohol und Drogen [1].

Ältere Menschen sind alters- und krankheitsbedingt häufiger von Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit betroffen als jüngere [3]. Bei den Erkrankungen sind schlafmedizinische Erkrankungen wie eine unbehandelte obstruktive Schlafapnoe relevant, aber auch andere Krankheiten wie eine Herzinsuffizienz, Depressionen oder die Parkinson-Erkrankung [1,2].

Bei den Medikamenten spielen u. a. Beruhigungs- und Schlafmittel sowie einige Antidepressiva eine Rolle. Diese wirken bei älteren Personen oft stärker sedierend als bei jüngeren. Zudem nehmen ältere Menschen häufiger mehrere Medikamente ein, was die Müdigkeit und andere unerwünschte Wirkungen noch verstärken kann [1,4]. Altersbedingte Veränderungen führen auch dazu, dass ältere Menschen nachmittags müder sind als jüngere [1] und dass sie am Steuer schneller ermüden, da das Fahren für sie oft anstrengender ist [5].

Verbreitung

Befragungen zeigen, dass Müdigkeit am Steuer generell ein häufiges Phänomen ist. Viele Befragte geben gar an, schon am Steuer eingenickt zu sein [1]. Eine grosse Befragung in Europa lässt jedoch vermuten, dass ältere Personen seltener müde am Steuer sitzen als jüngere. Insgesamt gaben 18 % der Befragten an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal so müde Auto gefahren zu sein, dass sie die Augen kaum offen halten konnten. Bei den 65- bis 74-Jährigen lag dieser Anteil mit 8 % deutlich tiefer [6].

Die Bevölkerungsbefragung der BFU 2024 zeigt ein ähnliches Bild: 57 % der Befragten gaben an, zumindest ab und zu übermüdet zu fahren. Bei den Personen ab 65 Jahren ist dies mit 37 % deutlich seltener der Fall [7].

Gefährlichkeit

Müdigkeit geht mit einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit einher. Übermüdete Personen haben beispielsweise Schwierigkeiten, die Spur zu halten, nehmen Gefahren verzögert wahr und reagieren verspätet auf unerwartete Ereignisse. Im Extremfall führt Müdigkeit zu Sekundenschlaf am Steuer.

Aufgrund der Beeinträchtigungen haben übermüdete Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Unfallrisiko. Eine genaue Spezifizierung dieses Risikos ist kaum möglich. Grob geschätzt dürfte das relative Risiko aber im Bereich von 1,5 bis 4 liegen (siehe [1]). In einer Studie zu den Auswirkungen einer Schlafapnoe oder eines Schlafmangels auf das Unfallrisiko wurden verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen [8]. Die Studie zeigte diesbezüglich keinen nennenswerten Unterschied zwischen älteren und jüngeren Personen.

Müdigkeitsbedingte Unfälle sind oft schwerwiegend, wenn der Lenker oder die Lenkerin eingeschlafen ist. Grund dafür dürfte sein, dass sich solche Unfälle bei höherer Geschwindigkeit ereignen bzw., dass vor dem Aufprall nicht oder zu spät gebremst wurde [9].

Unfallrelevanz

In der Statistik der polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle wird Müdigkeit (inkl. Sekundenschlaf) von Seniorinnen und Senioren bei rund 1 % der schweren Personenschäden in dieser Altersgruppe als Hauptursache registriert (siehe Hinweis). 

Da es für die Polizei schwierig ist, Übermüdung am Unfallort zuverlässig festzustellen und die Betroffenen ihre Schläfrigkeit oft verschweigen, wird das Ausmass des Problems in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik unterschätzt.  

Spezifische Studien zeigen, dass Müdigkeit ein wesentlich substanziellerer Einflussfaktor ist. Unter Ausschluss konfundierender Faktoren wie Dunkelheit, Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit kann geschätzt werden, dass Müdigkeit insgesamt bei ca. 10 % aller schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine (Mit-)Ursache ist (siehe [1]). 

Hinweis

Mit «Seniorinnen und Senioren» sind hier Personen ab 65 Jahren gemeint, die als Fahrzeuglenkende oder zu Fuss unterwegs waren. Mitfahrende z. B. in Personenwagen sind hier nicht eingeschlossen.

Quellen

[1] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.

[2] Falkenstein M, Karthaus M, Brüne-Cohrs U. Age-related diseases and driving safety. Geriatrics (Basel, Switzerland). 2020; 5(4). DOI:10.3390/geriatrics5040080.

[3] Uhr A, Ewert U, Scaramuzza G et al. Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2016. Sicherheitsdossier Nr. 14. DOI:10.13100/bfu.2.271.01.

[4] Freed SA, Staplin, Loren, Sprague BN, Ross LA. State of knowledge on older drivers: Report No. DOT HS 813 535. Washington, DC: National Highway Traffic Safety Administration NHTSA; 2024 DOT HS 813 535.

[5] Huwiler K, Uhr A, Hertach P. Altersbasierte verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen: Evaluation des Schweizer Systems. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2022. Fachdokumentation 2.468. DOI:10.13100/bfu.2.468.01.2022.

[6] Areal A, Pires C, Pita R et al. Distraction (mobile phone use) & fatigue: ESRA3 Thematic report Nr. 3. ESRA project (E-Survey of Road users' Attitudes: Portuguese Road Safety Association; 2024.

[7] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2024: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle. Bern: BFU; 2024.

[8] Gottlieb DJ, Ellenbogen JM, Bianchi MT, Czeisler C. Sleep deficiency and motor vehicle crash risk in the general population: A prospective cohort study. BMC Med. 2018; 16(1): 44. DOI:10.1186/s12916-018-1025-7.

[9] European Commission EC. Road safety thematic report – Fatigue. Brussels: European Road Safety Observatory; 2021.

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