Ausgangslage
Unfälle mit Fussgängerinnen und Fussgängern werden immer seltener. Doch wenn etwas passiert, dann sind die Folgen oft schwerwiegend. Denn wer zu Fuss im Strassenverkehr unterwegs ist, ist kaum geschützt.
Aus der polizeilichen Unfallstatistik geht hervor, dass bei Personenschäden von Fussgängerinnen und Fussgängern aufgrund von Unaufmerksamkeit und Ablenkung seitens Kollisionsgegner fast immer Lenkende von zweispurigen Motorfahrzeugen die Hauptverursachenden sind – hauptsächlich von Personenwagen (65 %) und von schweren Motorfahrzeugen wie Lieferwagen, Lastwagen, Sattelschleppern oder Cars (zusammen 12 %) (Ø 2019–2023). E-Bike- und Velofahrende sind in 8 % der Fälle die fehlbaren Verkehrsteilnehmenden, etwas seltener sind es Motorradfahrende (6 %).
Aufgrund der wesentlich häufigeren und deutlich schwereren Kollisionen zwischen Fussgängerinnen und Fussgängern und dem motorisierten Verkehr beziehen sich die folgenden Ausführungen auf PW-Lenkende als Kollisionsgegner.
Unaufmerksamkeit umfasst die innere bzw. selbst erzeugte Ablenkung, z. B. durch abschweifende Gedanken oder Tagträume. In den polizeilich registrierten Unfällen werden Unaufmerksamkeit und Ablenkung als unterschiedliche Unfallursachen erfasst. Wissenschaftliche Untersuchungen konzentrieren sich häufig nur auf die Ablenkung.
Es existieren verschiedene Arten der Ablenkung:
- Visuelle Ablenkung, z. B., wenn die Lenkerin oder der Lenker die Augen auf ein Mobiltelefon richtet anstatt auf die Strasse
- Auditive Ablenkung, z. B. durch das Hören von Musik oder anderen Medien
- Motorische Ablenkung, z. B., wenn jemand das Steuerrad loslässt, um nach etwas zu greifen
- Kognitive Ablenkung, z. B. ein Gespräch mit einem Passagier
Ablenkungen können sich im Innern des Fahrzeugs oder in der Umwelt befinden, z. B. Werbung am Strassenrand.
Verbreitung
Fast jede dritte Person lässt sich am Steuer ablenken – meistens durch andere Personen im Fahrzeug. Je jünger die Autolenkenden sind, desto häufiger ist das Handy der Grund für die Ablenkung. Dies zeigt eine BFU-Erhebung aus dem Jahr 2022 [1]. Während die Quote für Handynutzung bei den 45- bis 59-Jährigen etwa 4 % beträgt, ist sie bei den 18- bis 29-Jährigen fast dreimal so hoch: 11 %. Weiter zeigt die BFU-Erhebung, dass Männer etwas häufiger abgelenkt im Auto unterwegs sind als Frauen.
In der «E-Survey of Road Users’ Attitudes» (ESRA) 2023 [2] gaben 27 % der Befragten in der Schweiz an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal während der Fahrt eine Nachricht gelesen oder Social Media und News überprüft zu haben. Die Hälfte der Befragten hat mindestens einmal mit einer Freisprechanlage telefoniert, 23 % mit dem Handy in der Hand. Im Gegensatz zur BFU-Erhebung, die auf beobachtetem Verhalten beruht, handelt es sich bei ESRA um subjektive Einschätzungen der Fahrzeuglenkenden.
In der Bevölkerungsbefragung der BFU 2023 [3] gaben 23 % der Befragten an, zumindest selten während der Fahrt mit dem Handy in der Hand zu telefonieren. Mit der Freisprechanlage telefonierten 73 % der Befragten zumindest ab und zu, 24 % taten dies nie.
Gefährlichkeit
Unaufmerksamkeit und Ablenkung können dazu führen, dass die für eine sichere Verkehrsteilnahme erforderlichen visuellen, auditiven, kognitiven und motorischen Ressourcen nicht in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Sie können somit die Verkehrssicherheit beeinträchtigen [1]. Die Forschung hat sich bisher vor allem auf die Ablenkung konzentriert. Dies liegt daran, dass Unaufmerksamkeit nicht beobachtbar ist und daher nicht zuverlässig erfasst werden kann.
Wie häufig Unaufmerksamkeit und Ablenkung anderer Verkehrsteilnehmender tatsächlich zu (schweren) Fussgängerunfällen führen, kann mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden. Bekannt ist jedoch, dass verschiedene Formen der Ablenkung (z. B. Lesen oder Schreiben von Nachrichten) das Unfallrisiko von PW-Lenkenden teilweise um das 8-Fache erhöhen [4,5] (siehe Hinweis 1) (vgl. ((LINK Personenwagen Risikofaktor Unaufmerksamkeit und Ablenkung Zielgruppe))). Das Gefahrenpotenzial dieser Ablenkungsarten bezieht sich auf das allgemeine Unfallrisiko und nicht auf das spezifische Risiko von Fussgängerunfällen.
Von allen Fussgängerinnen und Fussgängern, die aufgrund von Unaufmerksamkeit und Ablenkung durch andere Verkehrsteilnehmende in der Unfallstatistik erfasst wurden, wurden 25 % schwer oder tödlich verletzt (und 75 % leicht verletzt).
Unfallrelevanz
10 % aller schweren Personenschäden von Fussgängerinnen und Fussgängern sind auf Unaufmerksamkeit und Ablenkung der Kollisionsgegner zurückzuführen (Hauptursache, Ø 2019–2023). Bei diesen Unfällen war in 79 % der Fälle die momentane Unaufmerksamkeit die Hauptursache. Damit ist Unaufmerksamkeit das zweithäufigste Fehlverhalten der Kollisionsgegner bei schwer verletzten oder getöteten Fussgängerinnen und Fussgängern.
Dieser Wert ist allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, da Unaufmerksamkeit nicht direkt beobachtbar ist, bei der Unfallaufnahme jedoch häufig als «Post-hoc-Erklärung» bei fehlenden offensichtlichen Unfallursachen herangezogen wird.
Nur in 9 % der Fälle wurde die Ablenkung der Kollisionsgegner als Hauptunfallursache registriert. Diese bezieht sich im Gegensatz zur Unaufmerksamkeit auf identifizierbare Situationen, in denen Verkehrsteilnehmende ihre Aufmerksamkeit statt auf das Verkehrsgeschehen auf eine fahrfremde Tätigkeit richten – z. B. Handybedienung.
Insgesamt sind weniger als 1 % aller schweren Personenschäden bei Fussgängerinnen und Fussgängern auf solche Ablenkungen seitens Kollisionsgegner zurückzuführen. Die Bedeutung von ablenkenden Handlungen und Gesprächen wird in der Unfallstatistik aber vermutlich unterschätzt, da fehlbare Verkehrsteilnehmende ihr Fehlverhalten nur ungern zugeben.
Hinweise
- Die Originalquellen und eine ausführliche Darstellung der Metaanalysen zur Bestimmung der Gefährlichkeit finden sich bei [4].
Informationen zur Verbreitung und Gefährlichkeit von Ablenkung und Unaufmerksamkeit bei anderen Mobilitätsformen finden sich hier:
- Motorradfahrende
- Velofahrende
- E-Bike-Fahrende
- E-Trottinett-Fahrende
Quellen
[1] Niemann S, Hertach P. Erhebungen 2023: Ablenkung im Strassenverkehr: Autolenkerinnen und Autolenker. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.517.01.2023.
[2] Vias Institute. Switzerland – ESRA3 Country Fact Sheet. ESRA3 survey (E-Survey of Road Users’ Attitudes). Version 2 (01/2024): Vias Institute; 2023.
[3] BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung. BFU-Bevölkerungsbefragung 2023: Jährlich wiederkehrende Befragung der Schweizer Wohnbevölkerung zu Themen im Bereich der Nichtberufsunfälle [Unveröffentlichter Bericht]. Bern: BFU; 2023.
[4] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[5] Dingus TA, Guo F, Lee S et al. Driver crash risk factors and prevalence evaluation using naturalistic driving data. Proc Natl Acad Sci U S A. 2016; 113(10): 2636–2641. DOI:10.1073/pnas.1513271113.